Die untreue Mutter, die die Pflege ihrer Kinder bezahlt haben wollte

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 09.02.2012
Rechtsgebiete: Familienrecht7|5450 Aufrufe

Die 1992 geborenen Zwillinge sind seit ihrer Geburt schwerstbehindert. Vermutliche Ursache ist ein ärztlicher Behandlungsfehler, jedenfalls zahlte die Haftpflichtversicherung des Arztes im Wege eines Vergleichs 1997 insgesamt 2.050.000 DM (= 1.048.148 €).

Die Mutter lies sich die Vergleichssumme auf ihr Girokonto auszahlen.

In der Folgezeit gab sie einen großen Teil des Geldes für alles Mögliche (Hauskauf, Unterstützung ihre anderen Verwandtschaft, Unterstützung ihres Ehemannes, der nicht der Vaters des Kindes ist, etc), jedenfalls nur zum geringen Teil (etwas mehr als 156.000 €) für die Kinder, aus.

 

Seit 2000 leben die Zwillinge in einem Pflegeheim, 2001 wurde der Mutter die Vermögenssorge entzogen und auf einen Ergänzungspfleger übertragen. 2003 wurde sie wegen Untreue zu einer Gesamtsfreiheitsstrafe von 10 Monaten (auf Bewährung) verurteilt.

Die Kinder (vertreten durch den Ergänzungspfleger) machen Schadensersatzansprüche (Mindeststschaden über 800.000 €) gegen ihre Mutter geltend.

Die Mutter macht (u.a) geltend, sie habe von 1992 bis zur Heimunterbringung der Kinder über 30.000 Stunden behinderungsbedingte Pflege- und Betreuungsleistungen für die Zwillinge erbracht. Insoweit hat sie die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Vergütungsanspruch in Höhe von 450.000,-- € (30.000 Stunden x 15,-- €) zu, mit dem sie vorsorglich die Aufrechnung erklärt hat.

Dem hat das OLG Saarbrücken eine klare Absage erteilt und die antragsgemäße Verurteilung in der Berufungsinstanz aufrechterhalten. 

Die Pflege und Betreuung der Kläger ist Bestandteil der von der Beklagten in dem in Rede stehenden Zeitraum ausgeübten Personensorge (§ 1631 Abs. 1 BGB). Diesbezügliche Aufwendungen fallen der Beklagten daher selbst zur Last und sind nicht gemäß § 1648 BGB erstattungsfähig. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Pflege- und Betreuungsaufwand der Beklagten für die Kläger infolge deren Behinderungen wesentlich umfangreicher war als dies bei gesunden Kindern der Fall gewesen wäre. Denn der Umfang des erforderlichen Pflege- und Betreuungsaufwands richtet sich nach dem konkreten Bedarf des Kindes. Dass der diesbezügliche Zeitaufwand nicht erstattungsfähig ist, zeigt sich auch daran, dass – wie sich im Umkehrschluss aus § 1835 Abs. 3 BGB ergibt – selbst Dienste, die ein Elternteil im Rahmen seines Berufs oder Gewerbes dem Kind erbringt (z. B. Arzt, Lehrer, Rechtsanwalt), nicht ersatzfähig sind (vgl. MünchKomm.BGB/Huber, a. a. O., § 1648 Rdnr. 5). Zudem greift für Aufwendungen, die ihrer Art nach Unterhaltsgewährung sind, aber nach den §§ 1601 ff. BGB nicht geschuldet werden, die widerlegliche Vermutung des § 685 Abs. 2 BGB ein, wonach den Eltern regelmäßig die Absicht fehlt, Ersatz zu verlangen (vgl. MünchKomm.BGB/Huber, a. a. O., § 1648 Rdnr. 6). Diese Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt. Vielmehr hat sie schon nicht behauptet, bei Erbringung ihrer Pflege- und Betreuungsleistungen für die Kläger die Absicht gehabt zu haben, von diesen Ersatz zu verlangen.

OLG Saarbrücken v. 26.05.2011 - 8 U 519/09

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7 Kommentare

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Ich ebenso nicht. Es ist eine Sache, ob dem einen Elternteil gegen das andere Unterhaltsansprüche zustehen (wer das Kind betreut ist letztendlich egal, siehe § 1615l (4) 1 BGB), aber es ist eine andere Sache, wenn das betreuende Elternteil für die im Rahmen der Personensorge zu leistenden Aufgaben einen Anspruch gegen die Kinder begründet. Letzteres ist irgendwie schräg und vom Gericht mit Recht abgeschmettert worden.

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Ich hätte allerdings eine allgemeine Frage zum Anwendungsbereich des § 1648 BGB. Wenn selbst in einem Fall wie hier, in dem ein Elternteil durch die Behinderungen der Zwillinge zweifellos einen erheblichen Mehraufwand hat, § 1648 BGB nicht einschlägig ist, dann stellt sich m.E. schon die Frage, welchen Fall der Gesetzgeber überhaupt im Blick hatte. Gibt es ein "Paradebeispiel" für diese Vorschrift?

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Ein rätselhafter Fall, der mich schaudern macht. Auch die Überschrift: Warum sollte die Mutter nichts kriegen?

In einem sehr ähnlichen Fall (Verkehrsunf.) habe ich das Kind vertreten. Nach ersten Zahlungen der Vers. fiel der Mitarbeiterin beim Sozialamt auf, daß die Kindesmutter mit einem Cabrio vorfuhr. Binnen einer Woche stand eine Vermögenspflegschaft mit mir als Pfleger. 10 Jahre lang. Habe Haus gekauft, behindertengerecht umgebaut, ähnlichen Transporter angeschafft etc.

In diesem Fall hier: Mutter alleinerziehend, schwerstgeschädigte Zwillinge. War da nicht das Jugendamt beteiligt? Gab es vor dem Vergleich keine Zahlungen? Kein Kindesvater. Die Kindesmutter war nicht in der Lage, ihre Mutter zu unterstützen, so daß sie Geld aus dem Kindesvermögen nahm.

War etwa nicht vorherzusehen, daß diese Frau mit dieser Situation überfordert war? Sie berichtet von  intensiver Pflege der Kläger, innerfamiliären Spannungen, sei auch depressiv und in psychotherapeutischer Behandlung gewesen. OLG: "Das Fehlverhalten ist dennoch nicht entschuldbar."

-Welche Vorbildung hatte die Mutter? Wird hier nicht vielzu viel vorausgesetzt? Wo bleibt demgegenüber die Fürsorge, die Vermögenssorge anderweitig zu organisieren? Nach dem Urteil gab es genügend Personen, die mit ihr und mit den Geldern zu tun hatten.

Der Kollege Dr. M., ihr früherer Anwalt, hat die Akten vernichtet und kann sich an nix erinnern? Wie hat sich das in den 5 Jahren von der Geburt bis zum Vergleich dargestellt? Welche Familienverhältnisse haben sich den betreuenden Personen  dargestellt? Vor allem auch dem Jugendamt? Werden hier alle exculpiert?

Ich habe in meinem Fall für die erheblichen Pflegeleistungen der Mutter -zusätzlich zu einem Pflegedienst wegen Beatmungspflichtigkeit- einen monatlichen Betrag von 850 € ausgehandelt als Betreuungsmehraufwand. Siehe Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden zu "vermehrte Bedürfnisse". Zu dessen Voraussetzungen hat das OLG hier kein Wort "verloren", also kann es auch nicht bedacht worden sein.

Es ist ein Ersatzanspruch des geschädigten Kindes, bestehend in der Vergütung der Mutter, die eine Arbeit wegen der notwendigen Pflege nicht ausüben kann und daher kein Einkommen daraus erzielen kann. § 1648, 685 II sind hier wohl die falsche Baustelle. Hier geht es doch offensichtlich um Schadensersatzansprüche der Kinder, und da gehört dieser dazu. Was enthielt dazu der Vergleich? Wurde der behinderungsbedingte Zukunftsschaden ausgenommen?

Mir scheint, hier riecht so einiges nach Regreß.

Auch der Ton und der Stil des Urteils sind befremdlich. Fast genüßlich werden im Nachhinein die Versäumnisse der Mutter aufgelistet. Mir fällt auf, daß der Transporter mit dem Betrag aus dem Kindesvermögen eingestellt wurde. Hat der Händler auf den "Rest" von über 30.000 DM verzichtet? Wo wird dieser offensichtlich von der Mutter eingebrachte Betrag verrechnet?

Schaudern ist es, was ich verspüre.

Wie vielleicht etwas schräg aber richtig dargestellt wurde ist es eben ein Unterschied ob Vater (ggf. auch Mutter) oder Vater Staat zahlen müssen. Erstere müssen immer zahlen, letzterer darf sich vielfach drücken.

Das Problem tritt aber generell bei behinderten Kindern auf. Eltern unterstützen/pflegen ihre Kinder und können deshalb (zumeist die Mutter) nicht berufstätig sein. Dadurch hat man nur wenig Geld zur Verfügung und das Geld, was man hat, also Einkommen und eben auch Einkommen des Kindes (Pflegegeld oder dgl. des Kindes) werden gemeinsam ausgegeben. Rechtlich ist das immer falsch, da das Geld für das Kind nur dem Kind zusteht. Beispiel: Kind kann in den Tierpark/Oper/... nur mit Begleitung. Geht ein Elternteil mit, dann muss es für seine Kosten (Bus-/Bahnticket, anteilig Taxi) selbst aufkommen. Wird aber eine dritte Person als Begleiter beauftragt, dann kann eine andere (dritte) Person dafür bezahlt werden und die notwendigen Kosten (Tickets, Eintritt für Begleitperson) ebenfalls.

Es geht eben nicht darum, dass die Pflege des Kindes den Eltern bezahlt wird, sondern darum, dass den Eltern notwendige Ausgaben zur Pflege und dazu gehört eben auch der eigene Lebensunterhalt, wenn dieser anders nicht gesichert werden kann sowie notwendige Ausgaben (siehe vorher).

Rechtlich ist das Kind zum einen verpflichtet seine bedürftigen Eltern zu unterstützen, andererseits dürfen die Eltern das Geld des Kindes nicht für sich ausgeben. Diesen Widerspruch will der Gesetzgeber aber nicht lösen, da er dann auch wieder zahlen müßte.

Im konkreten Fall dürfte es um die Pflegekosten der Kinder selbst gehen, die nun (Versicherungsgeld ausgegeben) vom Sozialhilfeträger zu tragen sind und der jeden Cent, den er kriegen kann, von der Mutter haben will.

Realistisch ist allerdings, dass die Mutter auf ewig in HartzIV bleibt, der Träger der Sozialhilfe die Heimkosten bezahlen muss (da nichts zu holen ist) und die Gerichtskosten ebenfalls von der Allgemeinheit getragen werden (müssen).

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@ Jurainteressierter

 

Die Fälle zu § 1648 BGB sind in der Rechtsprechung dünn gesät. Und wenn, dann wird ein Anspruch meist abgelehnt.

In FamRZ 1998, 367 findet sich folgende BGH-Entscheidung:

Ein Großvater hatte seiner Enkeltochter 50.000DM vermacht, die dieser am 18. Geburtstag ausgezahlt werden sollten.

Das Mädchen verklagte ihren Vater auf Unterhalt, dieser meinte, sie sei nicht bedürftig, da sie ja die 50.000 von Opa habe.

Nun trat die Mutter auf den Plan und rechnete aus, dass die 50.000 schon für Diverses (Sportausrüstungen, Nachhilfestunden, Führerscheinerwerb, Steifftiere und Puppen etc. sowie einen PKW) ausgegeben worden seien. Nur für den Ankauf eines Citroen AX zum Preis von 8.000 DM hat der BGH die Voraussetzungen des  § 1648 BGB bejaht.

"Das Fahrzeug hat sie der Klägerin zu ihrem 18. Geburtstag (26. Mai 1994) überlassen. Insoweit können die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs aus § 1648 BGB aufgrund des bereits feststehenden Sachverhalts bejaht werden. Es handelte sich um eine Aufwendung in beträchtlicher Höhe, die die Mutter im Hinblick auf die bevorstehende Erlangung der Volljährigkeit der Klägerin und deren an sich bestehenden Vermächtnisanspruch jedenfalls subjektiv für erforderlich halten durfte. Die Umstände ergeben nicht, daß keine Absicht bestand, für die hohe Summe keinen Ersatz zu verlangen."

 

Im Übrigen bestehe der Anspruch auf Zahlung des Vermächntnisses noch und mindere den Anspruch gegen den Vater

@ Herr Burschel

Vielen Dank für die Mühe, die Sie sich gemacht haben.

Ja, das Urteil des BGH ist in der Tat ein schönes Beispiel für § 1648 BGB.

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