Fall Mollath - BGH verwirft Revision

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 09.12.2015

Mit seiner heute bekannt gemachten Entscheidung hat der 1. Senat des BGH die von Gustl Mollath gegen das Urteil des LG Regensburg vom 14. August 2014 eingelegte Revision verworfen, Pressemitteilung.

Die Entscheidung wurde sogleich mit Begründung im Wortlaut veröffentlicht.

Die Ausführlichkeit der Begründung und deren sofortige Veröffentlichung stehen im erstaunlichen Kontrast zur erstmaligen Revision des BGH im Fall Mollath, bei der ein außerordentlich fehlerhaftes und problematisches Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom selben Senat einfach ohne nähere Begründung zur Rechtskraft „durchgewunken“ wurde. Immerhin scheint auch der BGH insofern aus dem Fall Mollath „gelernt“ zu haben. Zunächst nur ein kurzer Kommentar, den ich je nach Diskussionsverlauf möglicherweise in den nächsten Tagen ggf. noch ergänzen werde:

Wie ich schon zuvor verschiedentlich geäußert haben, war tatsächlich kaum damit zu rechnen, dass der BGH seine grundsätzliche Linie, der Tenor eines Urteils selbst müsse eine Beschwer enthalten, damit zulässig Revision eingelegt werden kann, gerade bei diesem Fall ändert. Dennoch gab es natürlich auch bei mir die leise Hoffnung, der BGH werde sich mit den sachlichen Einwänden gegen das Urteil, die auch ich noch hatte, auseinandersetzen.

Immerhin kann man den Beschluss angesichts der ausführlichen Begründung nun auch juristisch nachvollziehen, selbst wenn man ihm im Ergebnis nicht zustimmt. Es findet insbesondere auch eine Auseinandersetzung mit dem auch hier im Beck-Blog diskutierten vom EGMR entschiedenen Fall Cleve ./. Deutschland statt: Dort war der EGMR von der Tenorbeschwer abgewichen. Der BGH meint nun, das Urteil im Fall Mollath sei mit Cleve ./. Deutschland nicht vergleichbar, weil im Mollath-Urteil anders als im Cleve-Fall kein direkter Widerspruch zwischen Tenor und  Begründung festzustellen sei.

Enttäuscht bin ich vom letzten Satz der Begründung des Beschlusses, der konstatiert, die Revision sei ohnehin unbegründet gewesen. Dieser Satz ist völlig verzichtbar und gibt dem Leser Steine statt Brot.

Abgesehen von der  Kritik am Urteil des LG Regensburg möchte ich aber noch einmal darauf hinweisen: Der gesamte Fall in seiner Entwicklung und Dynamik ist ein aus Sicht des Dezember 2012 riesiger persönlicher Erfolg für Herrn Mollath und ist auch in seiner langfristigen Wirkung auf die (bayerische) Justiz und den Maßregelvollzug nicht zu unterschätzen.. Das sollte man – bei aller Enttäuschung über die heutige Entscheidung des BGH – nicht vergessen.

Update (14.12.2015): Eine eingehendere sehr kritische Analyse hat nun Oliver Garcia im delegibus-Blog veröffentlicht.

Update 3.3.2016: Die Kommentarspalte ist nach mehr als tausend Beiträgen geschlossen.

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1041 Kommentare

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Gibt da nicht Nr. 171 Abs. 2 RiStBV (Erneuerung der Hauptverhandlung)auch eine Antwort darauf? ... dass seine Ehre in öffentlicher Verhandlung wiederhergestellt wird?

Die Hauptverhandlung hat stattgefunden.

171 Abs. 2 RiStBV bezeichnet nicht das zwingende Ergebnis, sondern einen Grund, weswegen die Staatanwaltschaft einem

Freispruch ohne neue Hauptverhandlung nur ausnahmsweise zustimmen

sollte.

Wenn dies aus Ihrer Sicht nicht gelungen ist, berechtigt diese Verwaltungsvorschrift (!) nicht den Freigesprochenen (!) zu einem weiteren Rechtsmittel.

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Gast schrieb:

Gibt da nicht Nr. 171 Abs. 2 RiStBV (Erneuerung der Hauptverhandlung)auch eine Antwort darauf? ... dass seine Ehre in öffentlicher Verhandlung wiederhergestellt wird?

Die Hauptverhandlung hat stattgefunden.

171 Abs. 2 RiStBV bezeichnet nicht das zwingende Ergebnis, sondern einen Grund, weswegen die Staatanwaltschaft einem

Freispruch ohne neue Hauptverhandlung nur ausnahmsweise zustimmen

sollte.

Wenn dies aus Ihrer Sicht nicht gelungen ist, berechtigt diese Verwaltungsvorschrift (!) nicht den Freigesprochenen (!) zu einem weiteren Rechtsmittel.

 

Aus dieser Vorschrift lässt sich aber ein Rehabilitierungsanspruch entnehmen, den der Angeklagte in der erneuerten Hauptverhandlung hat, und damit eine weitere Aufgabe eines Strafverfahrens. Von einem solchen Anspruch kann die Beschwer abhängig sein, so jedenfalls nach Henning Radtke. Er verneint ihn mit dem Hinweis auf die Unschuldsvermutung, die dem Freigesprochenen erhalten bleibe. Dagegen lässt sich einwenden, dass sie ihm auch dann erhalten bliebe, wenn er ohne Erneuerung der Hauptverhandlung freigesprochen wäre. Den Rehabilierungsanspruch kann man also nicht mit der erhalten bleibenden Unschuldsvermutung kompensieren. Das ist ein Gedanke in Nr. 171 Abs. 2 RiStBV.

 

Mal zur geistigen, seelischen Entspannung eine abartig schuldunfähige Metapher neben dem Protokoll:

Der Diskuswerfer vom BGH-Justitia hat sich wie gewohnt in schwungvolle Drehung versetzt. Wenn der Diskus den Boden im Ziel berührt, der Wurfkreis nach hinten verlassen wurde, zählt dieser entscheidende Wurf. In der x-ten Drehung fühlt BGH-Justitia plötzlich statt dem Diskus einen Bumerang in der Hand. Traut sich nun nicht mehr loszulassen:

"Loslassen, oh Gott, wenn der mir mit voller Wucht zurückkommt und um die Ohren fliegt!"
Aber den Wurf abbrechen?: "Abbrechen, mein Gott, die Schmach, das Gepfeife und Gejohle!"

BGH-Justitia dreht sich und dreht sich. "Bloß nicht loslassen! Bloß nicht abbrechen!"

Drehen, drehen, drehen - der Wurf zählt erst, wenn ...

Ein Glück, nach den Regeln kann BGH-Justitia endlos drehen und muss niemals und nirgendwo hin gehen. Die Offenbarung wird so vertagt, bis BGH-Justitia dann doch versagt.

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Lutz Lippke schrieb:

Mal zur geistigen, seelischen Entspannung eine abartig schuldunfähige Metapher neben dem Protokoll:

Der Diskuswerfer vom BGH-Justitia hat sich wie gewohnt in schwungvolle Drehung versetzt. Wenn der Diskus den Boden im Ziel berührt, der Wurfkreis nach hinten verlassen wurde, zählt dieser entscheidende Wurf. In der x-ten Drehung fühlt BGH-Justitia plötzlich statt dem Diskus einen Bumerang in der Hand. Traut sich nun nicht mehr loszulassen:

"Loslassen, oh Gott, wenn der mir mit voller Wucht zurückkommt und um die Ohren fliegt!"
Aber den Wurf abbrechen?: "Abbrechen, mein Gott, die Schmach, das Gepfeife und Gejohle!"

BGH-Justitia dreht sich und dreht sich. "Bloß nicht loslassen! Bloß nicht abbrechen!"

Drehen, drehen, drehen - der Wurf zählt erst, wenn ...

Ein Glück, nach den Regeln kann BGH-Justitia endlos drehen und muss niemals und nirgendwo hin gehen. Die Offenbarung wird so vertagt, bis BGH-Justitia dann doch versagt.

und die von L.L.  beschriebene Dynamik, das  nahezu unverständliche, vielfach lebens- und bürgerferne Rechtsgebaren der Gerichte und mitunter auch der Rechtsanwälte wird vermutlich von der Mehrzahl der Bürger als                             R e c h t s v e r d r e h u n g  empfunden, so auch im Fall Mollath..... Dieser Einschätzung und vielfachen leidvollen   E r f a h r u n g e n der betroffenen Bürgern hat sich unsere Gesellschaft, die Justiz selbstkritisch gerade infolge der zunehmenden gesellschaftspolitischen Spannungen zu stellen, um unseren Rechtsstaat und sozialen Frieden zu bewahren. Es ist kein Zufall , dass sich nach dem Justizunrecht an G.M. zahlreiche Justiz-Opfer-Verbände gegründet haben und das Vertrauen der Bürger zu der Rechtsprechung gestört ist.

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Beschreibt gut die Diskus-sion HIER :-)

Der "Wurf" war auch noch nicht da... nur Drehungen...

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Den Rehabilierungsanspruch kann man also nicht mit der erhalten bleibenden Unschuldsvermutung kompensieren. Das ist ein Gedanke in Nr. 171 Abs. 2 RiStBV.

Richtig, aber nur bei fehlender Hauptverhandlung in einem Wiederaufnahmeverfahren, nicht aber bis in weitere Instanzen.

(analog Art. 19 Abs. 4 GG, wie von "Zuhörer" in #15 erklärt)

Dies trifft hier nicht zu.

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Das Rehabilitierungsinteresse steht aber an anderer Stelle, in § 25 BZRG, im Gesetz. Wenn schon ein Rehabilitierungsinteresse für die Entfernung aus dem bzw. Nichteintragung in das Bundeszentralregister bestehen kann, muss erst Recht eine Überprüfung der Grundlage oder Unterlage aus Rehabilitierungsinteresse möglich sein. Der Betroffene, bei Hr. Mollath ist das der Fall, kann nicht auf eine Folgenbeseitigung verwiesen werden, wenn möglicherweise die Voraussetzung für einen Eintrag gar nicht rechtskonform zustande gekommen ist.

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Menschenrechtler schrieb in #38:

Der Grundsatz "in dubio pro reo" findet bei der Entscheidung, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit als "erheblich" im Sinne von § 21 StGB anzusehen ist, keine Anwendung (vgl. BGH, Urt. v. 15.9.2005 - 4 StR 216/05; BGH, Urt. v. 30.8.2006 - 2 StR 198/06; BGH, Beschl. v. 9.10.2008 - 1 StR 359/08 - wistra 2009, 25). Denn hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage. Dieser Grundsatz ist somit auf die rechtliche Wertung der zur Schuldfähigkeit getroffenen Feststellungen n i c h t  anwendbar (vgl. BGH, Beschl. v. 16.12.1959 - 4 StR 484/59 - BGHSt 14, 68, 73; BGH, Urt. v. 2.2.1996 - 2 StR 689/95 - NStZ 1996, 328 m.w.N.

.Anwendung findet der Zweifelssatz jedoch bei der Entscheidung über die Voraussetzungen der verminderten Schuldfähigkeit, wenn nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf Art und Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen.

Prof. Dr. Müller schrieb dazu in #40:

In dem Zitat geht es um die Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit erheblich (Sie haben nicht die entscheidenden Wörter gefettet)  ist für die Anwendung des § 21 StGB. Bei der Auslegung des Begriffs "erheblich" gilt - wie bei der rechtlichen Auslegung/Wertung generell NICHT der Grundsatz i.d.p.r. Der Grundsatz i.d.p.r. gilt nur für Tatsachen und zwar immer dann, wenn sich Tatsachen nicht vollständig aufklären lassen.

und in #41:

Dass die Unschuldsvermutung so nicht wirkt, habe ich bereits oben versucht zu erläutern. Hinsichtlich der Schuldfähigkeit gilt sie nur eingeschränkt, weil im Strafrecht eine allg. Schuldfähigkeitsvermutung (für Erwachsene) gilt.

 

Im Grundsatz sehe ich Übereinstimmung, dass nur zu nicht vollständig aufklärbaren Tatsachen die Unschuldsvermutung wirkt. Ist die Tat nicht aufklärbar, dann muss das zu Gunsten des Angeklagten wirken. Ist die Täterschaft des Angeklagten nicht aufklärbar, dann muss das zu Gunsten des Angeklagten wirken. Sind die Eingangskriterien des § 20 StGB nicht aufklärbar, dann muss das zu Gunsten des Angeklagten wirken. Konkret schafft das "zu Gunsten" aber erhebliche Probleme.

 

Der Angeklagte bestreitet hier die Tat und hält sich für einsichts- und steuerungsfähig. "Zu Gunsten" wäre aus Sicht des Angeklagten nur der tatsächliche Freispruch. Die Tat und der Tatablauf ist nicht (mehr) vollständig aufzuklären, die Umstände der möglichen Tat und/oder der Angeklagte wecken Zweifel an dessen Schuldfähigkeit.

Das Gericht hält aber die Tat, deren Strafwürdigkeit und die Täterschaft des Angeklagten ohne Zweifel für erwiesen, womit die Rechtsfrage des Strafanspruchs eigentlich beantwortet ist. Wegen Anhaltspunkten zur Schuldunfähigkeit des Angeklagten ist diese aber auch gegen die Erklärung des Angeklagten zu prüfen. Zweifel dürfen dabei nur zu den Tatsachen der Eingangskriterien der §§ 20, 21 StGB bestehen bleiben, nicht jedoch zu den Rechtsfragen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt. Die Erklärung des Angeklagten zu seiner psychisch-seelischen Verfassung zum Tatzeitpunkt wird also "zu seinen Gunsten" angezweifelt, nachdem seine Täterschaft festgestellt wurde. Daher MÜSSEN die Tatsachen der Eingangskriterien so ausgelegt werden, dass die Rechtsfragen zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eindeutig beantwortet werden können. Sieht das Gericht anhand der Tat oder Täterschaft Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit, dann MÜSSEN die Eingangskriterien dem im Zweifel entsprechen, analog bei Anhaltspunkten für eine Schuldunfähigkeit. Die Unschuldsvermutung wirkt hier also entgegengesetzt. Die Rechtsfrage bestimmt die Tatsachen bzw. deren Annahme im Zweifel. Diese Auslegung im Zweifel erfolgt tatsächlich also zu Gunsten der Beantwortung der Rechtsfrage in §§ 20, 21 StGB.

Erst die Trennung der Feststellungen zu Tat und Täterschaft von den Tatsachen der Eingangskriterien in § 20 StGB führen zu dieser Gegenläufigkeit der Anwendung der Unschuldsvermutung. Die gerichtlichen Annahmen zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten während der Tat sind aber an die Überzeugung des Gerichts zur Tat und dem Tatablauf unmittelbar gekoppelt. Die bereits eindeutig beantwortete Rechtsfrage zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit findet also durch Anwendung der "Unschuldsvermutung" die passenden nicht ausschließbaren "Tatsachen" des § 20 StGB.  

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Die Kernaussage zu #6 ist:

Die Zuweisung der "nicht ausschließbaren anderen schweren seelischen Abartigkeit" erfolgte nur deshalb, weil das Gericht für seine Feststellung der fehlenden Steuerungsfähigkeit (Rechtsfrage) ein dafür geeignetes Eingangsmerkmal aus § 20 StGB als "Tatsache" benötigte. Hierfür reichte wegen der Unschuldsvermutung schon deren Nichtausschließbarkeit aus.  

 

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Ich sag' mal: Von Kleinigkeiten abgesehen: Ja.

§ 224 StGB wird zuerst geprüft (um es mal darauf zu beschränken), falls zutreffend dann erst § 20 StGB (sofern indiziert, wie leider hier aus dem vorigen Verfahren, und darum von StPO verlangt).

Am Ende wird das zu einem Gesamtbild nach Überzeugung des Gerichts zusammengefügt, wie im Urteil dargestellt.

Was Ihre "Kernaussage" betrifft, sind Sie wohl nunmehr und endlich am von Ihnen in #12 auf S. 8 zitierten "Kunstgriff" angelangt.

 

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Sehr geehrter Herr Lippke,

Sie schreiben:

Wegen Anhaltspunkten zur Schuldunfähigkeit des Angeklagten ist diese aber auch gegen die Erklärung des Angeklagten zu prüfen. Zweifel dürfen dabei nur zu den Tatsachen der Eingangskriterien der §§ 20, 21 StGB bestehen bleiben, nicht jedoch zu den Rechtsfragen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt. Die Erklärung des Angeklagten zu seiner psychisch-seelischen Verfassung zum Tatzeitpunkt wird also "zu seinen Gunsten" angezweifelt, nachdem seine Täterschaft festgestellt wurde. Daher MÜSSEN die Tatsachen der Eingangskriterien so ausgelegt werden, dass die Rechtsfragen zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eindeutig beantwortet werden können. Sieht das Gericht anhand der Tat oder Täterschaft Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit, dann MÜSSEN die Eingangskriterien dem im Zweifel entsprechen, analog bei Anhaltspunkten für eine Schuldunfähigkeit. Die Unschuldsvermutung wirkt hier also entgegengesetzt. Die Rechtsfrage bestimmt die Tatsachen bzw. deren Annahme im Zweifel. Diese Auslegung im Zweifel erfolgt tatsächlich also zu Gunsten der Beantwortung der Rechtsfrage in §§ 20, 21 StGB.

Das ist alles nicht falsch, doch gehen Sie offenbar davon aus, der Angeklagte könne bzw. solle selbst bestimmen, was zu seinen Gunsten gewertet wird, und was nicht. Das ist der Gedanke des Dispositionsgrundsatzes, der im Zivilprozess, nicht aber im (deutschen) Strafprozess gilt. Die Auseinandersetzung mit der Schuldfähigkeit geschieht im deutschen Strafrecht aus der objektiven Warte. Und aus dieser objektiven Warte heraus wirkt es tatsächlich generell zugunsten eines Angeklagten, wenn seine Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt verneint wird und er deshalb freigesprochen wird. Das gilt völlig unabhängig davon, ob der Angeklagte diese Zweifel an seiner Schuldfähigkeit bestreitet oder nicht. Daraus ergibt sich die (zwingende) Anwendung von i.d.p.r., wenn sich eine Schuldunfähigkeit nicht ausschließen lässt.

Aufgrund des Tenorbeschwergrundsatzes (den ich für fragwürdig halte) ergibt sich dann jedoch prozessual aus der i.d.p.r.-Anwendung des § 20 StGB doch eine Belastung des Angeklagten, weil er infolgedessen als Freigesprochener kein Rechtsmittel mehr hat, um gegen die belastende Feststellung, er habe eine rechtswidrige Tat begangen, vorzugehen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

In dubio pro reo wird im Fall Schuldunfähigkeit auf den Kopf gestellt,

wenn es als eine Gunst für den Angeklagten gewertet wird, eine nicht ausgeschlossene Geisteskrankheit attestiert zu bekommen. Der Gipfel ist aber, sich dagegen noch nicht einmal wehren zu können, obwohl im BZR damit beschwert, weil es in den Gründen versteckt und aus dem Tenor herausgenommen wird. Mit wohlverstandenem Recht hat das nicht das Geringste zu tun. Das erscheint mir doch geradezu als Prototyp unerträglicher Rechtsverdreherei

Eine der Kardinalfragen, ob das Urteil im WA-Verfahren und die Ablehnung der Revision rechtens war, ist die Anwendung des § 20 StGB und des Zweifelsatzes in Bezug auf die nicht ausschließbare seelische Abartigkeit. Strafrecht ist das angewandte Verfassungsrecht, brachte ein bekannter Strafrechtler gestern im SAT 3 zum Ausdruck. Es geht  also nicht nur um den "Status quo" der herrschenden Rechtsprechung, sondern ob der Wortlaut des § 2O StGB und die  Grundrechte im WA-Verfahren und vom BGH eingehalten wurden.

Dies ist bislang nachwievor noch nicht ausreichend und zu Ende diskutiert.Das G.M. dadurch belastet und beschwert ist, setze ich voraus.

Da diese notwendigerweise immens ausdifferenzierten Rechtsprechung nur sehr schwer in ihrer hoffentlich vorhandenen Rationalität zu verstehen ist, nachstehend der Extrakt aus den Kommentaren:

Anwendung des Zweifelsatzes nur bei Tatsachen, die sich nicht vollständig aufklären lassen.

Keine Anwendung des Zweifelsatzes, wenn Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist, da dies eine Rechtsfrage ist.

Daraus folgt m.E. Anwendung des Zweifelsatzes, wenn Steuerungsfähigkeit nicht erheblich gemindert ist. Dies ist logisch und auch vernünftig.

Frage: Ist die Einsichtsfähigkeit eine Sachverhaltsfrage oder ebenfalls eine Rechtsfrage? Schwer verständlich, dass die Steuerungsfähigkeit zu einer Rechtsfrage wird, da sie zunächst ein psychologischer Sachverhalt ist.

Anwendung des Zweifelsatzes bei verminderter Schuldfähigkeit, wenn nicht behebbare Zweifel bestehen hinsichtlich A r t und G r a d des psychischen Ausnahmezustandes.

Diese Schlussfolgerung stimmt m.E. von der Konsequenz mit der vorherigen überein.

Da G.M. nicht wegen verminderter Schuldfähigkeit, sondern mit der Schuldunfähigkeit belastet wurde, stellt sich die Frage, ob die Beurteilung der Sachverhalte und der Rechtsfragen nach den gleichen Kriterien erfolgt. Intiutiv würde ich ohne nähere Prüfung dem zustimmen.

Sobald im Blog diese Fragen nachvollzogen sind, könnte davon ausgegangen werden, dass die o.g.Kriterien beim WA-Urteil zumindest rechtskonform angewandt worden sind. Die verminderte Schuldunfähigkeit wurde lt. Herrn Lutz Lippke jedoch überhaupt nicht geprüft. Dies lässt grundlegende Zweifel zu, ob die Schuldunfähigkeit ausreichend geprüft und bewertet wurde.

Die entscheidende Frage ist m.E. jedoch, ob es überhaupt juristisch zulässig ist den Zweifelsatz auf den  § 2O StGB anzuwenden.

Nachfolgende Argumente sprechen dagegen:

Obwohl der § 20 StGB eindeutig von der Tatsache einer seelischen Abartigkeit ausgegeht, um wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen zu werden, wurde Gustl Mollath aufgrund der sehr fragwürdigen und zweifelhaften Hypothese einer nicht auszuschließenden seelischen Abartigkeit „freigesprochen“ und gleichzeitig durch die Psychiatrisierung existenziell beschwert.

Entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 20 StGB und damit dem eindeutigen Willen der Legislative wird der „Zweifelsatz“ auf den § 20 StGB angewendet und weicht eklatant von der rechtlichen Voraussetzung einer verläßlich sicheren festgestellten Tatsache einer seelischen Erkrankung ab. Wie Oliver Garcia in seinem Kommentar ausführt, wird die Rechtsprechung nicht dadurch legitimiert, weil die Rechtspraxis schon immer so war.

Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob durch das richterrechtliches Recht der Zweifelsatz auf den § 20 StGB entgegen dem erklärten Willen des Gesetzgebers angewendet werden darf, eine fehlerhafte Interpretation und Nichtbeachtung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Unzurechnungsfähigkeit gegeben ist und dadurch garantierte Grundrechte schwerwiegend verletzt werden.

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Aufgrund der Tenorbeschwer kann das Gericht den § 20 StGB anwenden wie es will, und wenn es seine Begründung dazu visualisiert und nette kleine Comic-Bildchen malt.

Sehr geehrter Menschenrechtler,

da ich schon mehrfach versucht habe, Ihre sicherlich wohlgemeinten Kommentare zu berichtigen, dies aber offenbar keine Früchte trägt, lasse ich es jetzt sein, Ihnen im Einzelnen zu antworten. Ich möchte aber noch einmal klarstellen, dass Herr Mollath durch die i.d.p.r.-Anwendung des § 20 StGB eben nicht psychiatrisiert wurde. Durch Ihre ständige Wiederholung dieser Falschinformation wird sie nicht wahrer. Im ersten Urteil (2006) wurde Herr Mollath psychiatrisiert, weil die §§ 20, 21 und 63 StGB direkt (nicht per i.d.p.r.) angewendet wurden. Herr Mollath ist vom LG Regensburg für die rechtswidrige Psychiatrisierung (durch das LG Nürnberg-Fürth) entschädigt worden. Und noch einmal (weil Sie wiederum das falsche Wort gefettet haben): Die Frage, ob etwas erheblich ist, ist die Rechtsfrage, die nicht per i.d.p.r. zu beantworten ist. Ob die Tatsachen für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB vorliegen, sind hingegen Tatsachenfragen, die - nur für die Anwendung günstiger Rechtsfolgen - für den Angeklagten i.d.p.r. angenommen werden, schon wenn sie nicht ausgeschlossen werden können. Das widerspricht nicht dem Willen des Gesetzes, auch nicht dem der Legislative, sondern entspricht den Menschenrechten, zu denen auch der Zweifelsgrundsatz gehört: Jede Voraussetzung der Strafe muss eben bewiesen sein, wenn dies nicht der Fall ist, ist freizusprechen. das gilt auch für die Schuldfähigkeit.

Das gilt alles unabhängig davon, dass nach meiner Auffassung in einem solchen Fall (Feststellung einer rechtswidrigen Straftat und Freispruch nur wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit) eine Beschwer vorliegt, die ein Rechtsmittel legitimiert.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Menschenrechtler,

da ich schon mehrfach versucht habe, Ihre sicherlich wohlgemeinten Kommentare zu berichtigen, dies aber offenbar keine Früchte trägt, lasse ich es jetzt sein, Ihnen im Einzelnen zu antworten. Ich möchte aber noch einmal klarstellen, dass Herr Mollath durch die i.d.p.r.-Anwendung des § 20 StGB eben nicht psychiatrisiert wurde. Durch Ihre ständige Wiederholung dieser Falschinformation wird sie nicht wahrer. Im ersten Urteil (2006) wurde Herr Mollath psychiatrisiert, weil die §§ 20, 21 und 63 StGB direkt (nicht per i.d.p.r.) angewendet wurden. Herr Mollath ist vom LG Regensburg für die rechtswidrige Psychiatrisierung (durch das LG Nürnberg-Fürth) entschädigt worden. ........................................ Das widerspricht nicht dem Willen des Gesetzes, auch nicht dem der Legislative, sondern entspricht den Menschenrechten, zu denen auch der Zweifelsgrundsatz gehört: Jede Voraussetzung der Strafe muss eben bewiesen sein, wenn dies nicht der Fall ist, ist freizusprechen. das gilt auch für die Schuldfähigkeit.

Das gilt alles unabhängig davon, dass nach meiner Auffassung in einem solchen Fall (Feststellung einer rechtswidrigen Straftat und Freispruch nur wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit) eine Beschwer vorliegt, die ein Rechtsmittel legitimiert.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

es lag nicht in meiner Absicht, Ihren Unwillen zu erzeugen. Vielleicht hätten sich meine bereits sehr viel früher gestellten Fragen rechtzeitig  klären können, auf die Sie meiner Erinnerung nach nur einmal und erst kürzlich eingegangen sind.

Sie führen aus:"Ich möchte aber noch einmal klarstellen, dass Herr Mollath durch die i.d.p.r.-Anwendung des § 20 StGB eben nicht psychiatrisiert wurde.

G.M. ist sicherlich nicht so schwerwiegend psychiatrisiert worden, wie im LG-Urteil von 2006 und durch die Unterbringung. Ob Herr Mollath oder andere Bürger mit einem gleichgelagerten Urteil  hinsichtlich der psychischen Integrität belastet wurde, also in gewisser Weise "psychiatrisiert" wurde, ist eine Frage der Bewertung, der Definition und auch der möglichen Folgen.  Herr Mollath fühlt sich zweifellos psychiatrisiert, wie im Doku-Film zu vernehmen war. Hierzu die aktuelle Auffassung des Experten, Herrn Dr. Sponsel: Forensischer und Verkehrs-Psychologe, Psychotherapeut 29.01.2016

"In dubio pro reo wird im Fall Schuldunfähigkeit auf den Kopf gestellt,

wenn es als eine Gunst für den Angeklagten gewertet wird, eine nicht ausgeschlossene Geisteskrankheit attestiert zu bekommen." So dürfte die Mehrzahl der Menschen diese Bewertung empfinden.

In der Diskussion stand u.a. im Vordergrund, ob ein Tenorbeschwer vorliegt oder nach dem BGH-Urteil in einem extremen Ausnahmefall eine Beschwer durch die Urteilsbegründung vorliegt. Die diskutierte mögliche Beschwer liegt in der nicht ausschließbaren anderweitigen seelischen Abartigkeit. Für mich stellt dies eine Psychiatrisierung, wenn auch nicht so schwerwiegende, aber gleichwohl anhaltende dar, zumal eine seelische Abartigkeit auch nach der Tat nicht so einfach verschwindet. Wenn es nicht diese "Psychiatrisierung durch die nicht ausschließbare seelische Abartigkeit" gäbe, müssten wir m.E. auch nicht über die mögliche Tenorbeschwer oder Beschwer diskutieren.

Nach meinem Dafürhalten liegt ein Zuordnungsproblem vor: Sie gehen von der Problematik einer Tenorbeschwer aus, während ich der Auffassung bin, dass das Problem bereits beim § 20 StGB beginnt. M.E. bedarf der § 20 StGB einer Neufassung, wie auch Herr Lutz Lippke andeutet. Bei  einer Neufassung könnte eine mögliche Beschwer  durch die Zuerkennung der Schuldunfähigkeit und die Zulässigkeit des Rechtsweges bei einem Freispruch in den jeweiligen Gesetzen geregelt und der heutigen Zeit angepasst werden.

Bei Ihrem nachstehenden Fazit besteht wiederum Einigkeit:

" Bei Mollath wurde i.d.p.r. auf die Tatsache der psychischen Erkrankung/Störung bezogen, zusätzlich auf die tatsächliche Frage, dass diese Störung sich auf seine zuvor festgestellte Tat ausgewirkt habe. Beide Tatsachen konnten nicht aufgeklärt werden, der Psychiater hat sie weder mit ja noch mit nein beantwortet. Das Gericht meinte nun, in diesem Fall sei i.d.p.r. anzuwenden. Ob dies richtig war, darüber kann man streiten (siehe schon meinen Kommentar zum Urteil). "

Besten Gruß

 

 

 

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@# 12 WR Kolos

Sie haben natürlich recht, die Tenorbeschwer steht gem. h.M. als (behaupteter) Zulässigkeitsmangel wie eine Schranke vor der Prüfung auf fehlerhafte Anwendung des § 20 StGB. Es sei denn, dass doch noch eine außerordentliche Beschwer beim BVerfG oder EGMR erfolgreich geltend gemacht wird. Dann könnte der Revisionsbeschluss noch fallen und bestenfalls mit ihm auch die Tenorbeschwer.

Die Praxis zu § 20 StGB mit den Comics hatte ja Hr. Nack schon gezeigt. Interessant ist daran, dass offensichtlich grundlegend das Verständnis für psychologische Tests fehlt. Denn die (theoretische) Güte von psychologischen Tests bestimmt sich nach Reliabilität, Validität und Objektivität und nicht nach ihrer Anschaulichkeit. Zum Grundproblem der Anwendung von Statistik und Wahrscheinlichkeit auf den Einzelfall hatte ich ja auch schon einmal etwas angemerkt. Hier noch einmal der Link zur juristischen Sitcom https://www.youtube.com/watch?v=aV4gjef-W4o

@# 11 Menschenrechtler

Dass der § 20 StGB nicht nur in der Formulierung ein Ungetüm dunklerer Zeiten ist, daran haben wir wohl keinen Zweifel mehr. Auch die Ergebnisse der Anwendung der Unschuldsvermutung auf den § 20 StGB sind zumindest z.T. nicht hinnehmbar. Das reicht, um es nicht nur pauschal zu diskutieren.

Klar ist aber auch, dass die Anwendung der Unschuldsvermutung bei § 20 StGB in vielen Fällen den Angeklagten begünstigt, wie z.B. bei tatsächlichen Delikten unter Drogeneinfluss. Im Zweifel muss der Rauschzustand und folglich seine Wirkung stärker angenommen werden, wenn dies nicht genau festgestellt werden kann. Die Grenze bei der verminderten Steuerungsfähigkeit benennt Hr. Nack im Video am Beispiel der Fahrt des drogenabhängigen Kuriers. Die Drogenwirkung konnte im Beispiel nicht stärker sein, als die tatsächlich noch feststellbare Steuerungsfähigkeit bei der Tat.   

Das hiesige Problem mit der Unschuldsvermutung bei § 20 StGB liegt also vielmehr in den Anhaltspunkten, der Beweisfrage und der Reihenfolge der Abarbeitung dieser Fragen. Als Anhaltspunkte wurden im WAV explizit die Feststellungen in Vorentscheidungen genannt, die nach StPO eine Begutachtung erzwingen würden. Diese betrafen mehrere Taten und angeblich den Wahn zu ausgedachten Schwarzgeldgeschäften, wovon am Ende der WAV die Schwarzgeldgeschäfte als wahr unterstellt wurden und nur eine Tat vom Gericht festgestellt wurde. Welche Beweisfrage hatte der SV zu beantworten und wie hat er die (neue) Tatsachenlage zur Tat und dem Beschuldigten berücksichtigt? Wie ist das Gericht mit dieser Beweisfrage und der Stellungnahme des SV umgegangen?  

Aus Tat, Tatumständen und den Tatsachen / Gutachten des SV zur "Abartigkeit", die nur im Zweifel in Richtung Schuldunfähigkeit zu werten waren, hatte das Gericht als Rechtsfragen die eindeutige Abgrenzung Einsichtsfähigkeit vs. Steuerungsfähigkeit und quantitativ die Erheblichkeit der Verminderung bis zum Ausschluss festzustellen. Hierzu sind also keine Zweifel zugelassen. Angesichts des staatlichen Strafanspruchs müsste die Feststellung einer erheblichen Verminderung (§ 21) vor dem Ausschluss (§ 20) stehen. Warum das Gericht dazu im Urteil keine Feststellungen treffen musste, verstehe ich daher nicht. Denn bei dieser Rechtsfrage wirkt die Unschuldsvermutung gerade nicht. Denkbar wären folgende Gründe:

a) Die Vorentscheidungen und StPO haben im konkreten Fall nur die Prüfung der fehlenden Steuerungsfähigkeit ermöglicht

b) die Tatumstände geben eindeutige Anhaltspunkte für eine Einsichtsfähigkeit, aber eine fehlende Steuerungsfähigkeit

c) die günstige Auslegung der Feststellungen des SV zur nicht ausschließbaren anderen schweren seelischen Abartigkeit lassen nur die Feststellung der fehlende Steuerungsfähigkeit zu.

Ich habe mir das Verfahren und das Urteil nicht so genau daraufhin angesehen. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass man zu ähnlichen Ergebnissen kommt, wie in der Beweiswürdigung zur Tat. Das ist allerdings spekulativ und damit nur ein "Gesamtschau" - Eindruck.

  

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Lutz Lippke schrieb:

Dann könnte der Revisionsbeschluss noch fallen und bestenfalls mit ihm auch die Tenorbeschwer.
 

Das die Tenorbeschwer beim BVerfG fällt ist sehr unwahrscheinlich, weil das BVerfG sie sich selbst für Verfassungsbeschwerden zu eigen gemacht hat.

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Sehr geehter Herr Lippke,

Sie schreiben:

Angesichts des staatlichen Strafanspruchs müsste die Feststellung einer erheblichen Verminderung (§ 21) vor dem Ausschluss (§ 20) stehen. Warum das Gericht dazu im Urteil keine Feststellungen treffen musste, verstehe ich daher nicht.

Sie verkennen hier die Logik, aus der die vom Gericht gewählte Reihenfolge als die richtige resultiert. § 21 StGB hat (nur) die verminderte Schuldfähigkeit, § 20 StGB die Schuldunfähigkeit zur Rechtsfolge. Da die Schuldunfähikeit mit der für den Angeklagten günstigsten Rechtsfolge Freispruch vom Tatvorwurf verknüpft ist, und sich die dafür zugrundeliegenden Tatsachen schon nicht ausschließen ließen, bestand gar kein Anlass, sich über die verminderte Schuldfähigkeit mit ihrer für den Angeklagten weniger günstigen Rechtsfolge Gedanken zu machen. So auch sonst: In der Praxis gibt es viele Gutachten, in denen der SV (und ihm folgend auch das Gericht) zu dem Schluss kommt, zwar sei Schuldunfähigkeit auszuschließen, aber nicht auszuschließen sei verminderte Schuldfähigkeit. Auch in diesem Fall wird zuerst über § 20 StGB nachgedacht und dann  i.d.p.r. § 21 StGB angewendet, wenn sich die Tatsachen für § 20 StGB ausschließen lassen. Das Vorgehen entspricht der Funktionsweise des Zweifelssatze, den Denkgesetzen und die Darstellung in den Urteilsgründen folgt dem so genannten Urteilsstil.

Im Übrigen schreiben Sie:

Ich habe mir das Verfahren und das Urteil nicht so genau daraufhin angesehen. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass man zu ähnlichen Ergebnissen kommt, wie in der Beweiswürdigung zur Tat. Das ist allerdings spekulativ und damit nur ein "Gesamtschau" - Eindruck.

Heißt das, dass Sie das Urteil (S. 69 - 83), über das Sie hier die ganze Zeit mitdiskutieren, gar nicht so genau gelesen haben? Das irritiert mich jetzt.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Heißt das, dass Sie das Urteil (S. 69 - 83), über das Sie hier die ganze Zeit mitdiskutieren, gar nicht so genau gelesen haben? Das irritiert mich jetzt.

Diese an Sicherheit grenzende Vermutung hatte ich von allem Anbeginn. Sie betrifft auch nicht nur die S. 69 - 83 und auch nicht nur Lippke.

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Gast schrieb:

Heißt das, dass Sie das Urteil (S. 69 - 83), über das Sie hier die ganze Zeit mitdiskutieren, gar nicht so genau gelesen haben? Das irritiert mich jetzt.

Diese an Sicherheit grenzende Vermutung hatte ich von allem Anbeginn. Sie betrifft auch nicht nur die S. 69 - 83 und auch nicht nur Lippke.

Na aber hallo?

Ich schrieb "daraufhin" in einem konkreten Zusammenhang

Angesichts des staatlichen Strafanspruchs müsste die Feststellung einer erheblichen Verminderung (§ 21) vor dem Ausschluss (§ 20) stehen. Warum das Gericht dazu im Urteil keine Feststellungen treffen musste, verstehe ich daher nicht. Denn bei dieser Rechtsfrage wirkt die Unschuldsvermutung gerade nicht. Denkbar wären folgende Gründe:

a) Die Vorentscheidungen und StPO haben im konkreten Fall nur die Prüfung der fehlenden Steuerungsfähigkeit ermöglicht

b) die Tatumstände geben eindeutige Anhaltspunkte für eine Einsichtsfähigkeit, aber eine fehlende Steuerungsfähigkeit

c) die günstige Auslegung der Feststellungen des SV zur nicht ausschließbaren anderen schweren seelischen Abartigkeit lassen nur die Feststellung der fehlende Steuerungsfähigkeit zu.

Ich habe mir das Verfahren und das Urteil nicht so genau daraufhin angesehen. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass man zu ähnlichen Ergebnissen kommt, wie in der Beweiswürdigung zur Tat. Das ist allerdings spekulativ und damit nur ein "Gesamtschau" - Eindruck.

Für "genau daraufhin" beanspruche ich qualitativ den Versuch der Durchdringung, wenigstens wie bei der Prüfung zur Beweiswürdigung Praxissystem/Dateien. Da hatte ich noch Einiges in der Hinterhand, ohne es letztlich zu verwerten. Wo waren Sie bitte da, werte Diskutanten? 

Im Übrigen habe ich das Urteil und jetzt auch den Beschluss bereits mehrfach gelesen und z.T. auch in den Details aussagelogisch und auch juristisch nachvollzogen, wie es als erfahrener Laie eben möglich ist. Nicht alles ist mir heute präsent, nicht alles verstehe ich sofort wie ein Jurist oder will das z.T. auch nicht. Es handelt sich für mich auch nicht um anregende Wunsch- oder Fachlektüre. Die Sprache, der häufig anzutreffende Duktus wird mir immer fremd bleiben. Guten Juristen gebührt aber schon deshalb mein absoluter Respekt. Als einen solchen lernte ich RA Kammerer kennen (leider verstorben). Er war nach meinem Ermessen ein sehr guter Jurist, mit freundlich-ironischer und absolut verbindlicher Umgangsweise und einer klaren, sparsamen Ausdrucksweise, die wortwörtlich 100% Urteilswirkung hatte. Die hätte ich gerne. Ich erkenne eine solche Qualität aber nicht im LG-Urteil und auch nicht im BGH-Beschluss.

Zur Frage § 20 vs. § 21 StGB werde ich die Anregungen von Prof. Müller durchdenken.  

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Gast schrieb:

Heißt das, dass Sie das Urteil (S. 69 - 83), über das Sie hier die ganze Zeit mitdiskutieren, gar nicht so genau gelesen haben? Das irritiert mich jetzt.

Diese an Sicherheit grenzende Vermutung hatte ich von allem Anbeginn. Sie betrifft auch nicht nur die S. 69 - 83 und auch nicht nur Lippke.

Diese Vermutung ist gegenüber Herrn Lutz Lippke nicht angebracht. Tatsächlich wurde bislang hauptsächlich die Themen Tenordogma, Tenorbeschwer, Strafanspruch etc. diskutiert. Die Diskussion bezüglich des § 20 StGB wurde bislang weitgehend umgangen, nicht tiefer durchdrungen und die Themen Steuerungsfähigkeit, Einsichtsfähigkeit erst jetzt konkreter diskutiert. Deswegen wird auch erst jetzt die genauere Durchdringung dieses Urteilsteils notwendig.

Feststeht, dass Herrn Lippke große Anerkennung auszusprechen ist, da er sehr intensiv und umfassend die

Gesamtproblematik durchdenkt, durchdringt und den Diskurs wie kein Anderer anregt und vertieft.

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Liegt es in einer non-liquet-Lage zu Schuldfähigkeit nicht näher, diese Frage einfach offen zu lassen, ohne Anwendung des Zweifelssatzes und das Verfahren (ggf. ohne Auflagen) einzustellen (153 StPO)? Das Gericht erspart sich damit einhundert Seiten Urteilsbegründung und dem Angeklagten ehrverletzende Feststellungen. Die Unschuldsvermutung bleibt dem Angeklagten erhalten und die Heilige Kuh "Tenorbeschwer" wird nicht infrage gestellt. 

Warum die Einstellung unter diesen Umständen hinter dem Freispruch stehen sollte, ist nicht ganz einsehbar.

WR Kolos schrieb:

Liegt es in einer non-liquet-Lage zu Schuldfähigkeit nicht näher, diese Frage einfach offen zu lassen, ohne Anwendung des Zweifelssatzes und das Verfahren (ggf. ohne Auflagen) einzustellen (153 StPO)? Das Gericht erspart sich damit einhundert Seiten Urteilsbegründung und dem Angeklagten ehrverletzende Feststellungen. Die Unschuldsvermutung bleibt dem Angeklagten erhalten und die Heilige Kuh "Tenorbeschwer" wird nicht infrage gestellt. 

Warum die Einstellung unter diesen Umständen hinter dem Freispruch stehen sollte, ist nicht ganz einsehbar.

Sehr geehrter Herr Kolos,

manchmal muss eine "Heilige Kuh" einfach geschlachtet werden und die "Heiligsprecher" wissen es bereits, ohne es aber wahrhaben zu wollen. Und vielleicht war auch die Gier, dem Querulanten noch etwas ans Zeug zu flicken,  doch sehr viel größer, als sie mit Ihrer Vernunft glauben wollen. 

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Ich habe Verständnis für die hier geäußerten Kritikpunkte, die die Unschuldsvermutung und die (i.d.p.r.) Anwendung des § 20 StGB betreffen, die nach deutschem Recht aber m.E. in sich schlüssig und korrekt angewendet wurden.

Interessant ist ein Vergleich zwischen deutschem und englischem Strafrecht, die beide vor dem EMRK bestand haben, ich fand hier eine gute deutschsprachige Darstellung:

Der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK entsprechend liegt in beiden Ländern im Strafverfahren die Beweislast grundsätzlich bei der Staatsanwaltschaft (in England: die Krone). Hier wie dort erfolgt - zum großen Erstaunen manches englischen Kollegen - eine Verurteilung nur, wenn die Schuld des Angeklagten ohne jeden vernünftigen Zweifel erwiesen ist. Anders als das deutsche Strafrecht kennt das englische
Recht in manchen Fällen allerdings eine Beweislastumkehr. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass das englische Gesellschaftssystem schon immer dem Einzelnen eine große Selbständigkeit abverlangte. Dies galt und gilt auch im Strafverfahren, in dem sich Angeklagter und Krone als gleichberechtigte Parteien gegenüberstehen, denen die Wahrnehmung ihrer jeweiligen Interessen selbst und eigenverantwortlich obliegt. Wenn der Angeklagte meint, bestimmte Tatsachen seien für ihn günstig, ist es seine Aufgabe (bzw. die seines Verteidigers), sich vor Gericht darauf zu berufen. So muss sich zum Beispiel der Angeklagte auf Schuldunfähigkeit im Sinne des deutschen § 20 StGB beraten und diese dann beweisen; eine Prüfung von Amts wegen findet nicht statt.

Nach höchstrichterlicher englischer Rechtsprechung liegt in den Fällen der Beweislastumkehr immer dann kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vor, wenn sie sich nicht auf Tatsachen bezieht, die die Schuld oder Unschuld des Angeklagten betreffen.

https://books.google.de/books?id=2Zh-kULrnTIC&lpg=PA123&ots=5fimgX8rWP&p...

Im Ergebnis wäre es also in "unserem Fall" wohl nach englischem Recht zu einer Verurteilung (ohne Strafausspruch) gekommen, mit der Konsequenz einer existierenden Beschwer und damit der Zulässigkeit einer Revision, wenn ich es richtig verstehe.

An diesem Punkt komme ich jedoch selbst, das muß ich sagen, momentan nicht weiter:
Wie könnte man auf dieser Basis der Differenz zwischen englischem und deutschem Recht, beide der EMRK unterliegend, eine juristisch korrekte Forderung nach Prüfung des Urteils in Deutschland aufbauen?

 

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@ #18 Menschenrechtler

in #30 vom 23.01.16 auf S.8 hatte ich zur Historie der Zulässigkeitsprüfung und offensichtlichen Unbegründetheit bei Revision auf Prof. Dr. Henning Rosenau verwiesen.

http://www.zis-online.com/dat/artikel/2012_5_665.pdf

Bis 1922 gab es demnach wohl keine Erfordernis der Beschwer, geschweige denn eine Tenorbeschwer. Das Problem entstand vermutlich später.

Wie 1922 konkret mit Revisionsanträgen bei Freisprüchen trotz Tatfeststellung umgegangen wurde, ist dem Artikel nicht unmittelbar zu entnehmen. Eine Quelle, die bereits damals eine Verwerfung als unzulässig mit Beschluss wegen einer "fehlenden Beschwer" erlaubte, habe ich bisher nicht gefunden. Aber die Nähe zur Verwerfung wegen offensichtlicher Unbegründetheit (jetzt  § 349 Abs. 2 StPO) ist erkennbar. Diese Regelung wurde 1922 als Maßnahme der Prozessökonomie eingeführt und erst ab den 50-zigern mit der Entwicklung der Tenorbeschwer als Zulässigkeitshürde in § 349 Abs.1 StPO richterrechtlich noch einmal aufgerüstet. Folgt man dem Artikel, waren es mit Ausnahme von 1922 nur die Auslegungspraxis der Richter, die Revisionshürden verschärften und den Zugang zur Hauptverhandlung in der Revision einschränkten, nicht der Gesetzgeber. Die Analyse der gleichzeitigen Entwicklung der Freisprüche mit Maßregel oder Schuldunfähigkeit wäre eine sinnvolle Sache. Wie oft gibt es überhaupt Verwerfungen nach § 349 I StPO? Kennt jemand vergleichbare Entscheidungen?

Bevor man also eine Beschwer oder Tenorbeschwer als Zulässigkeitskriterium tatsächlich in irgendeinem Gesetz wie dem § 20 StGB wörtlich benennt, würde mich eine Evaluation von deren Regel-/Ausnahmeverhalten interessieren. Wenn nämlich die Tenorbeschwer sowieso viele Ausnahmen und Widersprüche erzeugt und gar kein unmittelbarer Gesetzeswortlaut ist, dann war und ist diese Auslegung der Gesetze schlicht willkürlich. Egal ob das BVerfG das mal irgendwann erkennen wollte oder nicht. Auch das BVerfG ist nicht der Gesetzgeber.

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@Menschenrechtler

@Gast

Danke für Ihre widerstreitenden Wertungen. Ob gerade das mein intrinsisches Motiv zur Suche befördert hat?

Ein weiteres Erklärungsangebot, eine 3. Hypothese, allerdings mit Nachweis im WAV

keine Strafe -> kein § 21 StGB

ergibt sich eigentlich aus dem Gesetz selbst, aber den gesuchten Hinweis fand ich zunächst unter http://www.juralib.de/connector/getJPGForStatic/9893

Da ja nicht nur das Urteil zum Strafverfahren zählt, hier ein Auszug aus der Dr. Strate-Doku zum WAV-Protokoll vom 08.08.2014 S.99 OStA Meindl:

"Zu § 21 StGB brauche ich keine Ausführungen zu machen, da §  21  StGB  eine  reine  Strafzumessungsregelung  ist  und  wir ohnehin nicht zu einer Strafe kommen werden. Das verbietet uns § 373 der StPO." 

Da es in der WAV nicht um Strafe ging, wurde § 21 StGB nicht in Betracht gezogen. Weil Strafe nicht Zweck dieses Strafverfahrens war, konnte es auch nicht der staatliche Strafanspruch sein. Woraus könnte GM daher eine Beschwer ableiten. Nach h.M. genaugenommen aus Nichts. Nicht einmal aus einem "Babubaba"-Urteil.

Warum?

STRAFE -> ZWECK DES STRAFVERFAHREN -> STRAFE IM TENOR -> TENORBESCHWER -> ZULÄSSIGKEIT

Welche Funktion hatte das WAV also wirklich? Aufklärung? Persönlichkeitsrechte?

Was sagt den Tenorbeschwer-Auslegern die Auslegware § 361 StPO dazu? Bestraft man Tote oder Entlassene?

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Lutz Lippke schrieb:

...die Gier, dem Querulanten noch etwas ans Zeug zu flicken

Ihre Beleidigungen werden immer unerträglicher. Oben hat man Sie schon wegen der "Beweisfälschung" (§ 269 StGB) zurechtweisen müssen, die Sie dem Gericht unterstellt haben. Wenn Sie Ihr Ziel nicht anders verfolgen können, als mit Verleumdungen und Beleidigungen, kann das Ziel nicht richtig sein. Ich sehe beim Gericht keine "Gier, dem Querulanten noch etwas ans Zeug zu flicken", sondern bei Ihnen eine Manie, ständig die Institutionen unseres Rechtsstaats zu diffamieren, speziell ein Gericht, das sich (durch RA Strate) anerkanntermassen wirklich alle rechtsstaatliche Mühe gegeben hat. Sie suhlen sich in der ärmlichen "Gier, unseren rechtsstaatlichen Institutionen ständig etwas ans Zeug zu flicken"...

@ Dr. Rübenach #28

Sie verrennen sich. Zunächst hatte ich von für mich unbegründbarer falscher Beweiswürdigung geschrieben, später allerdings auch einmal von Beweisfälschung. Auf Ihre Intervention hin hatte ich meinen Verdacht wieder herausgenommen und Ihnen zur unbegründeten falschen Beweiswürdigung Hinweise gegeben. Natürlich rechtfertigt eine unbegründete falsche Beweiswürdigung den Verdacht der Absicht, aber ich bin keine STA und auch kein Gericht. Mit Verleumdung und Beleidigung hat der Verdacht aber nichts zu tun, da eine Tatsachenbasis vorliegt, für die bisher noch keine andere Erklärung vorliegt. Haben Sie eine?

Ihre Intention zum falschen Ziel auf den Sachverhalt der falschen Beweiswürdigung angewandt:

Wenn eine falsche Beweiswürdigung für das Ziel notwendig ist, dann kann das Ziel nicht richtig sein. Eine solche Schlussfolgerung ist subjektiv nachvollziehbar, aber eben auch nur ein Verdacht. Wenn Sie unvoreingenommen wären, dann müssten Sie nach dieser Methode also an der Rechtmäßigkeit des Ziels des LG zweifeln. Warum tun Sie das nicht? Der Verweis auf Mühe allein, genügt jedenfalls als Erklärung nicht.

Keineswegs ist es meine Absicht den Rechtsstaat zu diffamieren. Ich halte einen verbindlichen Rechtsstaat für eine sehr wichtige Grundlage der Gesellschaft. Der Unterschied in unserer Auffassung liegt darin, dass ich den Rechtsstaat nicht als gesetzte Institution oder eine Anwesenheit von Würdenträgern erkenne, sondern in dem Willen und der Fähigkeit rechtsstaatlich zu handeln und Zuwiderhandlungen von Jedermann ohne Ansehen seiner Stellung entgegen zu treten. Also letztlich eine Aufgabe für Alle.

Um Ihnen aufzuzeigen, dass ich keineswegs pauschal den Institutionen etwas "ans Zeug" flicken will, ein positives Beispiel aus meiner widersprüchlichen Erfahrung mit der Justiz, die dann auch direkt Anschluss an die Sachdiskussion findet.

In einem Strafverfahren kam es zur Anklage und Hauptverhandlung. Der Angeklagte konnte belegen, dass die Anklage auf falschen Tatsachen fußt und der Angeklagte zumindest keine Rechtswidrigkeit seines Handeln erkennen konnte. Dem Gericht und dem StA wurde relativ schnell klar, dass ohne die Mitarbeit des Angeklagten keine Aufklärung möglich ist. Der Angeklagte wandt ein, dass ihm eine objektive und vollständige Aufklärung sehr wohl recht wäre, aber seine umfassende Mitwirkung nur zu dem Zweck, vielleicht doch noch eine Schuld zu finden, gegen seine Interessen ist. Eine Zeugenaussage machte dem Gericht und dem StA klar, dass aus dieser Zeugenaussage eher eine Strafsache wegen falschem Zeugnis u.a. werden könnte, als das diese zur Sachaufklärung beiträgt. Nach Abstimmung mit der STA und dem Angeklagten wurde das Verfahren ohne Feststellungen (§ 153 StPO) eingestellt. Der Angeklagte stimmte zu, da er eine vollständige Aufklärung der Tatsachen von dem Strafverfahren nicht erwarten konnte. 

Warum ist STA und LG nicht diesen Weg gegangen, wenn eine Strafe von vornherein ausschied? Wurde an den Angeklagten eines solche Möglichkeit der Verfahrensbeendigung herangetragen? Welchen Zweck erfüllte das WA-Verfahren aus Ihrer Sicht?

Urheber dieser Fragem ist übrigens WR Kolos, falls Sie mir nicht sachlich antworten können.       

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Wenn ich versuchen darf, zur Versachlichung beizutragen.Die von Herrn Waldemar Kolos vorgetragene Möglichkeit der Verfahrenseinstellung wäre eine weise, konsequente und mutige Entscheidung gewesen, um das schwerwiegende Unrecht an Herrn Gustl Mollath gutzumachen und ihn konsequenterweise zu rehabitieren. Der überhöhte Strafanspruch und möglicherweise andere Beweggründe haben dies nicht zugelassen.

Deshalb ist eine kritisch-konstruktive Reflektion dazu gerechtfertigt!

Der Fall Mollath hatte durch die Medien und den Untersuchungsausschuss eine sehr hohe politische Brisanz. Durch das im Urteil im WA -Verfahren festgestellte Unrecht der 7 ½ jährigen Unterbringung wurde das Versagen zahlreicher Gerichte, der Gutachter und der Forensik offensichtlich.

Für die Justiz, die bayerische Politik war dieser aufsehenerregende Skandal äußerst peinlich und dem Ansehen Bayern sehr abträglich. In dieser Situation kann es bewußt und auch unbewußt naheliegend sein,  eine Schadensbegrenzung  einzubeziehen.

Dies ist ein Teil der gesellschaftlichen Realität und macht mitunter auch nicht vor den Türen der Justiz nicht Halt!

Zumal die Staatsanwaltschaft auch die Interessen des Staates zu vertreten hat.

Es wurde ein nahezu einmaliges rechtsstaatliches WA-Verfahren absolviert. War es tatsächlich vorbildlich?

Fatalerweise hat sich die negative, abträgliche Dynamik im Wiederaufnahmeverfahren wie vor dem LG Nürnberg          w i e d e r h o l t .Dies hat eine angemessene Rechtssprechung nicht nur erschwert, sondern m.E. die Wahrheitsfindung verhindert.

G.M. wurde im Gerichtsverfahren 2006 zwangsbeobachtet, kam 2006 wegen des unzulässigen Verhaltens des Richters Brixner nicht zu Wort. G.M. verweigerte im WA-Verfahren seine Aussagen wegen der Zwangs- und Fernbegutachtung durch Prof. Nedopil.

Prof. Nedopil konnte seine psychiatrische Stellungnahme,( kein Gutachten!) n u r bzw. weitgehend aufgrund der Feststellungen aus den vorangegangenen Falschgutachten von Dr. Leipziger, Dr. Pfäfflin und Prof.Kröber abgeben, die sich für die Gemeingefährlichkeit und Unterbringung ausgesprochen haben. Dies ist paradox: die Unterbringung wird vom LG Regensburg für unrechtmäßig erklärt, gleichwohl stützt sich die Feststellung der nicht ausschließbaren seelischen Abartigkeit weitgehend auf die Feststellungen in diesen Falschgutachten. Das ganze Verfahren hat weitere groteske Züge: Zwölf Jahre zurück soll verläßlich, gerichtsfest über eine von Anfang an fragwürdige KV entschieden werden.

Zwölf Jahre zurück soll über das ohnehin sehr komplexe Problem einer psychischen Befindlichkeit, basierend auf einer früheren! und auch der Fernbeobachtung 2014 entschieden werden, ob vor dieser langen Zeit G.M. seelisch abartig, unzurechnungs- schuldunfähig gewesen sein könnte. Von Anfang an ein Unterfangen. Dies wird trotz aller justiziellen Bemühungen und des immensen Aufwands vollends zur Groteske, weil die Hauptbelastungszeugin sich nicht der Verantwortung gestellt hat, vor Gericht zu erscheinen,Gustl Mollath aus nachvollziehbaren Gründen wegen der Zwangsbeobachtung nicht sprechen will und sich die Mehrzahl der vermutlich befangenen Zeugen nicht mehr genau erinnern können bzw. wollen oder an "Amnesie" leiden.

Der Oberstaatsanwalt Herr Meindl, als Vertreter des Staates setzt sich massiv in einem 4 ½ stündigen Plädoyer für den Strafanspruch des Staates und die Belastung durch die KV ein, obwohl nur vage Hypothesen, Indizien dafür sprechen.

Sehr nachdenkenswert sind seine sinngemäßen Aussagen im Untersuchungsausschuss, dass ein Gericht sehr leicht einen Unschuldigen schuldig sprechen kann und einen Schuldigen für unschuldig....

Es steht außer Zweifel, dass aufgrund der Gesamtumstände des Falles Mollaths  erhebliche Zweifel an der Körperverletzung bestehen (verspätete Anzeige, Widersprüche in den Aussagen der Ex-Frau, widersprüchliche Aussagen des Arztes, der befangenen Arzthelferin -Schwägerin-, mögliche Fälschung des Attestes und der EDV-Dokumentation, Verfolgungsfeldzug der Ex-Frau und vieles Anderes mehr).

Trotz dieser Vielzahl der nachgewiesenen Zweifel wird Gustl Mollath auch noch nach 12 Jahren mit der KV belastet und der Rechtsgrundsatz im Verfassungsrang „ im Zweifel für den Angeklagten“ nicht angewandt. Stellt dies einen Rechtsbruch dar?

Das Landgericht hat im WA-Verfahren nicht die Souveränität aufgebracht G.M. zumindest aufgrund des Rechtsgrundsatzes in dubio pro reo tatsächlich freizusprechen und eine Ehrverletzung durch die nicht ausschließbare seelische Abartigkeit zu vermeiden

Deshalb ist es durchaus naheliegend die eventuellen Beweggründe kritisch zu reflektieren und auch zu hinterfragen, die zu diesem Urteil, nach meinem Dafürhalten zu einem Fehlurteil geführt haben.

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Lutz Lippke schrieb:

...ein positives Beispiel aus meiner widersprüchlichen Erfahrung mit der Justiz

Wenn Sie persönlich schlechte Erfahrungen mit der Justiz haben, dann rechtfertigt das nicht, Ihren Ärger durch Beleidigungen völlig unbeteiligter Gerichte und durch Unsäglichkeiten am Fall des armen Mollath abzureagieren, der dafür nun wirklich nichts kann.  Und mindestens 90% der deutschen Häftlinge fühlen sich als von der Justiz schlecht behandelt und als Justizopfer. Das ist also wirklich nichts neues und keine "Ungerechtigkeit", die nur Ihnen widerfahren ist. Da befinden Sie sich in sehr zahlreicher Gesellschaft...

Menschenrechtler schrieb:

Das Landgericht hat im WA-Verfahren nicht die Souveränität aufgebracht G.M. zumindest aufgrund des Rechtsgrundsatzes in dubio pro reo tatsächlich freizusprechen

Das Landgericht hat keine "Souveränität aufzubringen". Kein Gericht ist ein "Souverän"; jedes Gericht und jeder Richter ist nur ein (ggf. auch schlechter oder unfolgsamer) abhängiger und grunsätzlich "unsouveräner" Diener des Gesetzes. Der Unterschied zwischen einem Diener und einem Souverän ist himmelweit. Indem Sie von einem Gericht die "Souveränität" fordern, jemanden entgegen der gewonnen richterlichen Überzeugung freizusprechen, zeigen Sie, dass Sie nicht nur vom Rechtsstaat und der Demokratie und der Gewaltenteilung keine Ahnung haben. Sie sollten dringen dazu lernen und erst dann wieder mit gehöriger Vorsicht und langsam zu diskutieren beginnen, wenn das getan ist.

Dr. Rübenach schrieb:

 

Menschenrechtler schrieb:

Das Landgericht hat im WA-Verfahren nicht die Souveränität aufgebracht G.M. zumindest aufgrund des Rechtsgrundsatzes in dubio pro reo tatsächlich freizusprechen

Das Landgericht hat keine "Souveränität aufzubringen". Kein Gericht ist ein "Souverän"; jedes Gericht und jeder Richter ist nur ein (ggf. auch schlechter oder unfolgsamer) abhängiger und grundsätzlich "unsouveräner" Diener des Gesetzes. Der Unterschied zwischen einem Diener und einem Souverän ist himmelweit. Indem Sie von einem Gericht die "Souveränität" fordern, jemanden entgegen der gewonnen richterlichen Überzeugung freizusprechen, zeigen Sie, dass Sie nicht nur vom Rechtsstaat und der Demokratie und der Gewaltenteilung keine Ahnung haben. Sie sollten dringen dazu lernen und erst dann wieder mit gehöriger Vorsicht und langsam zu diskutieren beginnen, wenn das getan ist.

Sehr geehrter Herr Dr. Rübenach !

Zu meinem Bedauern sind Sie in keinem Punkt auf meine, in sich schlüssige Argumentation eingegangen.

Die m.E. durchaus zutreffende Formulierung "Souveränität aufbringen" benutzen dieses eine Wort sinnentstellend dafür, mir zu unterstellen ich hätte keine Ahnung vom Rechtsstaat, der Demokratie und der Gewaltenteilung und fordern mich wiederholt auf  v o r s i c h t i g !!! zu sein.....

Sie behaupten allen Ernstes, dass ein Gericht a b h ä n g i g  wäre, obwohl eindeutig im Rechtsstaat der Richter unabhängig ist. Diese Unabhängigkeit kann auch als eine Art der Souveränität bezeichnet werden. Wenn Sie die irrige Behauptung als Volljurist aufstellen, ein Richter (ein Gericht) wäre abhängig, kann dies darauf hindeuten, dass in Wirklichkeit die Gerichte nicht so unabhängig sind, wie es rechtsstaatlich vorgesehen ist. In einer Diskussion von der Freien Wählergemeinschaft im Bay. Landtag gab der Präsident des bayerischen Richtervereins in etwa sinngemäß folgendes Statement ab: Wir haben eine Gewaltenteilung. Die dritte Säule, die Gerichtsbarkeit würde jedoch

nicht in einem ausreichenden Maße vorhanden sein...... Dies kann auch auf verschiedener Weise begründet werden

(kein eigener Justizhaushalt, Beförderungen werden von der Justiz ausgesprochen usw.).

Sie führen weiter aus:"jedes Gericht und jeder Richter ist nur ein (ggf. auch schlechter oder unfolgsamer!!! ) abhängiger und grundsätzlich "unsouveräner" Diener des Gesetzes". Wie Sie ausführen, steht es  außer Frage, dass ein Richter an Recht und Gesetz gebunden ist. Innerhalb von Recht und Gesetz besitzt er jedoch die garantierte Unabhängigkeit, die innere Freiheit mit seinem Wissen und nach seinem Gewissen Rechtzusprechen und kann aufgrund seiner menschlichen Unzulänglichkeit auch gravierende Fehlurteile aussprechen.

Wie Sie an meinen bisherigen und auch diesem Kommentar erkennen können, habe ich auch aufgrund meiner über 70-jährigen Lebens- und Berufserfahrung durchaus staatsbürgerliche Kenntnisse, auch wenn mir gelegentlich Fehler unterlaufen können......

Deshalb wiederhole ich meine grundsätzliche Frage und bitte um sachliche Argumente : Aus welchen Gründen wurde trotz der Vielzahl an zweifelhaften Sachverhalten bezüglich der angeblich von Herrn Mollath begangenen KV nicht nach dem Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" G.M. nicht freigesprochen?

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Sehr geehrter Dr. Rübenach

Im Gegensatz zu Ihnen, regiere ich nicht wütend und unterstellend, weise niemanden den Status des armen Opfers oder nörgelnden "Häftlings" zu, sondern orientiere mich an den Sachfragen in dieser Diskussion. Wenn Sie es als beleidigend finden, dass man für eine falsche Beweiswürdigung eine Ursache beim Verursacher voraussetzt, dann frage ich mich, wie Sie den Umgang des LG mit einem Freigesprochenen bewerten, der wegen der "Begünstigung durch Strafjuristen ohne Strafanspruch" mit nicht ausschließbarer seelischer Abartigkeit belegt wird. Ihre fast schon drohende Vorgaben an Menschenrechtler disqualifizieren Sie für mich. An der sachlichen Diskussion beteiligen Sie sich faktisch nicht. Ich beende daher jetzt die Auseinandersetzung mit Ihnen.

Mit freundlichen Grüßen

Lutz Lippke

  

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Aus welchen Gründen wurde trotz der Vielzahl an zweifelhaften Sachverhalten bezüglich der angeblich von Herrn Mollath begangenen KV nicht nach dem Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" G.M. nicht freigesprochen?

Weil das Gericht eben keine Zweifel hatte, andernfalls es i.d.p.r. freigesprochen hätte. Dass Sie Zweifel haben, ist Ihr gutes Recht, interessiert aber überhaupt nicht.

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Gast schrieb:

Aus welchen Gründen wurde trotz der Vielzahl an zweifelhaften Sachverhalten bezüglich der angeblich von Herrn Mollath begangenen KV nicht nach dem Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" G.M. nicht freigesprochen?

Weil das Gericht eben keine Zweifel hatte, andernfalls es i.d.p.r. freigesprochen hätte. Dass Sie Zweifel haben, ist Ihr gutes Recht, interessiert aber überhaupt nicht.

Sehr geehrter Herr Gast !

Ihr Desinteresse und Ihre fehlenden Argumente nehme ich zur Kenntnis. Zumindest gestehen, Sie mir ein gutes Recht zu, Zweifel zu haben.

Es stellt sich nachwievor die Frage, aus welchen Gründen das WA-Gericht keine Zweifel hatte , den Zweifelsatz hinsichtlich der Körperverletzung nicht angewandt hat und wie dies im Urteil im Detail und in der Gesamtwürdigung begründet wird.

Soweit dies mit dem Thema dieses Blog in einem inhaltlichen Zusammenhang steht, ist es durchaus von Interesse und  es ist ebenfalls ihr gutes Recht, sich nicht daran beteiligen zu wollen. Mit Ihrer ........Antwort erwecken Sie den Eindruck die Diskussion zu dieser grundsätzlichen Rechtsfrage b l o c k i e r e n  zu wollen.

In diesem Zusammenhang möchte ich Herrn Prof. Müller mit dem Kommentar # 24 der vorhergehenden Seite zitieren: "Im übrigen sehe ich die Beschwer des Herrn Mollath  p r i m ä r  in der gerichtlichen Feststellung der rechtswidrigen Tat, sekundär in der dubio pro reo Anwendung des § 20 StGB."

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Sehr geehrter Herr Lippke,

gewiss kann man über Formulierungen manchmal streiten. Ich stoße mich an Ihrer Formulierung aber keineswegs so sehr wie Dr. Rübenach. Denn ich verstehe sie auch anders. Natürlich wollte man dem Angeklagten "ans Zeug flicken" im Sinne von im Ansehen schädigen, und zwar durch die Anklage. Das ist doch immer so. Oder nicht? Zu beachten ist, dass die Anklage im Indikativ geschrieben ist. Da ist nicht die Rede von vielleicht, möglicherweise, könnte dies und jenes getan, gewollt und gewusst haben, nein, sondern: der Angeklagte hatte, wollte und wusste ... 

In Zusammenhang mit der Frage nach dem Zweck - BGH spricht hier von Aufgabe -  eines strafrechtlichen Verfahrens im Allgemeinen und im Besonderen in dem Fall Mollath, in dem der staatliche Strafanspruch ausgeschlossen war, auf dem eben die Tenorbeschwer beruht, kommt auch das Rehabilitierungsinteresse in Betracht. Aus Ihrer Formulierung entnehme ich die Kritik dahin gehend, dass der Prozess gegen Mollath vielleicht nicht nur dem Rehabilierungsinteresse des Angeklagten diente, sondern auch dem der Justiz in Bayern. Es ging möglicherweise auch um ihr Ansehen und nicht nur das von Mollath. 

Mit dieser Kritik sind Sie keineswegs allein. Sie befinden sich in guter Gesellschaft. Denn so wie ich Professor Müller (Salomonisches Urteil mit schalem Beigeschmack), Gabriele Wolff und Oliver Garcia bisher verstanden habe, tendieren sie mit ihrer Kritik auch in diese Richtung. Um es etwas sarkastisch zu formulieren: Ich kann mich in all meiner "Vernunft" nur deswegen dieser Kritik noch nicht anschließen, weil ich noch keine Vorschrift und auch keine BGH-Entscheidung gefunden habe, die besagt, dass die Aufgabe eines strafrechtlichen Verfahrens in der Rehabilitierung der Justiz liegen könnte. Jedenfalls eignet sich ein Freispruch wegen Schuldunfähigkeit hervorragend dafür. Denn eine Überprüfung findet mangels Tenorbeschwer nicht statt. Das hätte die Verfahrenseinstellung (KV betreffend) nicht leisten können. 

WR Kolos schrieb:

[...]

In Zusammenhang mit der Frage nach dem Zweck - BGH spricht hier von Aufgabe -  eines strafrechtlichen Verfahrens im Allgemeinen und im Besonderen in dem Fall Mollath, in dem der staatliche Strafanspruch ausgeschlossen war, auf dem eben die Tenorbeschwer beruht, kommt auch das Rehabilitierungsinteresse in Betracht. Aus Ihrer Formulierung entnehme ich die Kritik dahin gehend, dass der Prozess gegen Mollath vielleicht nicht nur dem Rehabilierungsinteresse des Angeklagten diente, sondern auch dem der Justiz in Bayern. Es ging möglicherweise auch um ihr Ansehen und nicht nur das von Mollath. 

Mit dieser Kritik sind Sie keineswegs allein. Sie befinden sich in guter Gesellschaft. Denn so wie ich Professor Müller (Salomonisches Urteil mit schalem Beigeschmack), Gabriele Wolff und Oliver Garcia bisher verstanden habe, tendieren sie mit ihrer Kritik auch in diese Richtung. Um es etwas sarkastisch zu formulieren: Ich kann mich in all meiner "Vernunft" nur deswegen dieser Kritik noch nicht anschließen, weil ich noch keine Vorschrift und auch keine BGH-Entscheidung gefunden habe, die besagt, dass die Aufgabe eines strafrechtlichen Verfahrens in der Rehabilitierung der Justiz liegen könnte. Jedenfalls eignet sich ein Freispruch wegen Schuldunfähigkeit hervorragend dafür. Denn eine Überprüfung findet mangels Tenorbeschwer nicht statt. Das hätte die Verfahrenseinstellung (KV betreffend) nicht leisten können. 

Sehr geehrter Herr Kolos,

wie so oft, sprechen Sie das Wesentliche mit bemerkenswertem Understatement an. Gab und gibt es ein Rehabilitierungsinteresse und wenn ja, für wen? Ich würde das im Sinne eines Rechtsfrieden (#42) unbedingt bejahen, sowohl für den Beschuldigten, wie auch für die Justiz. Die Relevanz eines solchen Interesses hängt natürlich von den konkreten Umständen ab. Im vorliegenden Fall lag die wohl unbestreitbar vor. Wie im Rahmen des Strafrechts und ggf. darüber hinaus damit umzugehen ist, wäre nach Recht und Gesetz zu bestimmen. Darum dreht sich hier die Diskussion und entzündet sich der Streit.

Nimmt man ganz allgemeine Grundsätze wie Gerechtigkeit, Rechte- und Waffengleichheit, sowie Transparenz als Grundlage, dann kann das Rehabilitierungsinteresse des Beschuldigten nicht hinter dem der Justiz zurückstehen und muss vorab bestimmbar sein. Auch der Aufwand und die Chancengerechtigkeit dürfte nicht von einer willkürlichen Asymmetrie zwischen den Parteien geprägt sein. Der Aufwand und die Chancen des Beschuldigten, mit einer Wiederaufnahme des Strafverfahren eine Rehabilitation zu erreichen, divergieren jeweils ins Extrem zum Nachteil des Beschuldigten. Hat der bereits Freigesprochene aber den enormen Aufwand gemeistert und die Wiederaufnahme erreicht, dann kommt als weitere Hürde die Beschränkung des Verfahrens auf den "staatlichen Strafanspruch" auf ihn zu und die damit begründeten Einschränkungen zu Beweisantragsrechten etc.. Final wird dem Freigesprochenen zu seiner Rechtsmittelbefugnis die faktisch unüberwindbare Hürde der Tenorbeschwer auf Grundlage eines konkret gar nicht existierenden Strafanspruchs in den Weg gestellt. Der Umgang mit dem Rehabilitationsinteresse des Beschuldigten verbleibt so schon formal im freien Ermessen der Justiz. Deshalb kann die Justiz ihr eigenes Rehabilitationsinteresse gar nicht offen vertreten, ohne sich in Erklärungsnöte zur Chancenungerechtigkeit zu begeben.

Wenn ich in #42 munkelte, dass LG-Richter und Gutachter aus ihrem Selbstbild heraus ihre Überzeugungen zur Folgerichtigkeit der Tat und dem Wahn des Beschuldigten ableiteten, dann war das ironisch bis sarkastisch gemeint. Ich halte das für so unwahrscheinlich, wie die Herleitungen im Urteil selbst. Tatsächlich erkenne ich in dem Bemühen von LG und Gutachter den Versuch des Nachweises einer tatsächlichen Leistungsfähigkeit ihrer jeweiligen Zunft und die gleichzeitige Not, die Eigeninteressen und das Ansehen derZunft stellvertretend zu retten, ohne diesen Anspruch tatsächlich beim Namen zu nennen. Das war wohl tatsächlich kaum seriös zu leisten. Die Ergebnisse sind wie ein Whirlpool der ambivalenten Strömungen, Strudel und Wirbel. Je nach Blickwinkel und Interessenlage in der Gesamtschau eher rechts- oder linksdrehend, in den Details ein Füllhorn der Absurditäten. Somit ohne Chance auf Rechtsfrieden. Hätte man sich als fähiger Richter oder Gutachter der faktisch unlösbaren Aufgabe nicht doch besser entzogen? Zum Beispiel durch Erklärungen zur tatsächlichen Unmöglichkeit einer Begutachtung, der Nichtverwertbarkeit von Beweisen und Indizien, einem Einstellungsbeschluss, Verweigerung der persönlichen Verantwortung oder eben deren Übertragung auf den BGH durch eine rechtsmittelfähige Entscheidung mit ehrlicher Begründung zur Konfliktlage. Diese Möglichkeiten haben Gutachter und LG leider vertan.

Mit der BGH-Entscheidung wird die Hoffnung der Justiz offensichtlich, der Schmach durch kategorischen Formalismus ein Ende zu setzen. Die umfangreiche Begründung zeigt deutlich den Mangel an Reflektion zu den Aufgaben der justizförmigen Prüfung auf. Bei dieser Kutschfahrt trägt der Kutscher die Scheuklappen und versteht die Weitsicht des Gespanns im unübersichtlichen Verkehr nicht mehr. Das Hilfsargument des BGH zur offensichtlichen Unbegründetheit gem. § 349 II StPO, ein im konkreten Fall tatsächlich nicht erreichbarer Verfahrenszustand, erscheint in diesem Sinne wie der Verweis des Kutschers mit dem beschränkten Blickfeld auf die "umsichtige" Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung. Nun werden wir kaum eine Vorschrift finden, die das Tragen von Scheuklappen für Kutscher und Gespann bestimmt oder verbietet. Allenfalls durch virtuose Auslegungsmethoden ;-)    

  

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Es stellt sich nachwievor die Frage, aus welchen Gründen das WA-Gericht keine Zweifel hatte...

Die Frage stellt sich überhaupt nicht, wenn man das Urteil liest (und sich zu verstehen bemüht), was unter manchen Diskussionsteilnehmern hier ja bekanntlich leider so verpönt ist wie beim Teufel das Weihwasser. Wenn man das Urteil gelesen (und möglichst sogar verstanden) hat, kann man ja dann wirklich sinnvoll konkret an konkreten Urteilsbegründungen seine Zweifel äußern.

In diesem Zusammenhang möchte ich Herrn Prof. Müller mit dem Kommentar # 24 der vorhergehenden Seite zitieren: "Im übrigen sehe ich die Beschwer des Herrn Mollath p r i m ä r in der gerichtlichen Feststellung der rechtswidrigen Tat, sekundär in der dubio pro reo Anwendung des § 20 StGB."

Herr Prof. Müller äußert in diesem Satz keine Bedenken zur Überzeugungskraft des Urteils, sondern zur Frage, wo eine Beschwer liegen könnte, was etwas ganz anderes ist.

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Sehr geehrter Herr Prof. Müller, sehr geehrter Herr Kolos, sehr geehrter Herr Lippke,

kann die Nichtanwendung des Rechtsgrundsatzes "in dubio pro reo" im WA-Verfahren in Bezug auf die Körperverletzung direkt oder indirekt oder im weiteren Sinn eine B e s c h w e r  darstellen?  Vorausgesetzt, dass erhebliche, relevante Zweifel an der gerichtlichen Feststellung der rechtswidrigen Tat bestehen und auch überzeugend dargelegt werden können. Inwieweit könnte diese Beschwer von Bedeutung sein bezüglich der  BGH-Entscheidung zu der Zulässigkeit einer Revision und weitergehender Rechtsmittel?

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@ Gast

Die Argumente pro und contra LG Urteil sind schon lange, lange ausgetauscht. Teilweise und in Kürze in den Kommentaren bei diesem Blogbeitrag, in aller Länge bei dem Blogbeitrag, der unmittelbar nach dem Urteil von Prof. Müller erstellt wurde mit über 2000 Kommentaren.

Die Ultra-Kurzfassung:

MT schrieb:

 M.E. reicht die Aussage [Mollaths, er habe sich nur gewehrt] für eine Körperverletzung aus, bei der gefährlichen Körperverletzung sieht es dann schon anders aus - da kommt es zu sehr auf die konkreten Verletzungen an, die sich hauptsächlich aus dem Attest ergeben.

Der BGH könnte das natürlich anders sehen (wenn er denn die Zulässigkeit bejaht hätte), indem er die anderen Beweismittel betont. Der BGH hält ja z.B. die Wiederholung der Aussage von Frau M. nicht für notwendig und das im Vorprozess gesagte für voll verwertbar.

Zweifel kann man durchaus haben. Das Fass muss man aber jetzt wirklich nicht noch einmal aufmachen.

 

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Gast schrieb:

@ Gast

Die Argumente pro und contra LG Urteil sind schon lange, lange ausgetauscht. Teilweise und in Kürze in den Kommentaren bei diesem Blogbeitrag, in aller Länge bei dem Blogbeitrag, der unmittelbar nach dem Urteil von Prof. Müller erstellt wurde mit über 2000 Kommentaren.

Die Ultra-Kurzfassung:

MT schrieb:

 M.E. reicht die Aussage [Mollaths, er habe sich nur gewehrt] für eine Körperverletzung aus, bei der gefährlichen Körperverletzung sieht es dann schon anders aus - da kommt es zu sehr auf die konkreten Verletzungen an, die sich hauptsächlich aus dem Attest ergeben.

Der BGH könnte das natürlich anders sehen (wenn er denn die Zulässigkeit bejaht hätte), indem er die anderen Beweismittel betont. Der BGH hält ja z.B. die Wiederholung der Aussage von Frau M. nicht für notwendig und das im Vorprozess gesagte für voll verwertbar.

Zweifel kann man durchaus haben. Das Fass muss man aber jetzt wirklich nicht noch einmal aufmachen.

 

Soweit ich mich erinnern kann wurde im Beckblog zwar durchaus sehr ausführlich und auch umfassend die

angebliche Körperverletzung kontrovers diskutiert, jedoch nicht  direkt und spezifisch die wichtige Frage aufgeworfen, weshalb nicht bezüglich der KV ein Freispruch in dubio pro reo in Frage kam. Gerne lasse ich mich vom Gegenteil überzeugen und bitte mir ggf. diese Kommentare zu benennen.

Die o.a. Aussage von "MT" "  M.E. reicht die Aussage [Mollaths, er habe sich nur gewehrt] für eine Körperverletzung aus" kann ich nicht teilen, weil eine Abwehr nicht zwangsläufig mit einer Körperverletzung verbunden ist, sondern in der Regel sich man sich nur vor körperlichen Übergriffen schützt, diese passiv "abwehrt".

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Die o.a. Aussage von "MT" "  M.E. reicht die Aussage [Mollaths, er habe sich nur gewehrt] für eine Körperverletzung aus" kann ich nicht teilen, weil eine Abwehr nicht zwangsläufig mit einer Körperverletzung verbunden ist, sondern in der Regel sich man sich nur vor körperlichen Übergriffen schützt, diese passiv "abwehrt".

Hätten Sie das Urteil gelesen, wüßten Sie, wie eingehend (und überzeugend) sich das Regensburger Urteil mit diesem Umstand auseinandergesetzt hat. Warum nehmen Sie sich das Urteil nicht einfach mal vor? Und noch einmal: Für die Anwendung des Zweifelssatzes kommt nur darauf an, ob das entscheidene Gericht aufgrund des Inbegriffes der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) einen Zweifel hat und nicht darauf, ob irgendein übelwollender quivis ex populo es darauf anlegt, ein Haar in der glasklaren Kloßbrühe zu finden!

Wegen Ihrer Leseschwierigkeiten bei anspruchsvolleren Texten habe ich die einschlägigsten Stellen des Urteils des LG Regensburg einmal für Sie zusammengefasst, mit der Bitte, wenigstens diese paar Absätze anzusehen und ggf. sogar zu lesen und/oder gar zu studieren und zu verinnerlichen:

Der Angeklagte hat auf Nachfrage weiter erklärt, seine früheren Äußerungen, dass er sich gewehrt habe, bedeuteten, er habe versucht, sich vor Schlägen seiner Frau zu schützen. Leider habe er sich gewehrt, besser wäre es gewesen, er hätte sich zusammenschlagen lassen. Zum Geschehen vom 12.8.2001 im Einzelnen hat der Angeklagte trotz Nachfrage keine Angaben gemacht, sondern bekundet, er wolle die Kammer damit nicht belasten, er habe dem nichts hinzuzufügen.
...
Der Schilderung des Angeklagten ist zwar ein konkretes Tatgeschehen am 12.8.2001 nicht zu entnehmen. Jedoch ist die Kammer angesichts der Einlassung des Angeklagten, er habe sich nur gewehrt, überzeugt, dass es am 12.08.2001 jedenfalls tatsächlich zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und der Nebenklägerin gekommen ist.
...
Zunächst bestätigt die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung die Angaben der Nebenklägerin insoweit, als sich aus der Formulierung, er habe sich nur gewehrt, ergibt, dass eine körperliche Auseinandersetzung tatsächlich stattgefunden hat. Eine entsprechende Einlassung des Angeklagten hat auch die Zeugin H , Berichterstatterin in der Hauptverhandlung vom 8.8.2006, bestätigt, die angegeben hat, der Angeklagte habe sich auch am 8.8.2006 dahingehend eingelassen, dass er sich gewehrt habe, weil die Nebenklägerin ihn angegriffen habe. Zudem hat der Zeuge E , Vorsitzender in der Hauptverhandlung vom 22.4.2004, bekundet, der Angeklagte habe damals nicht den Eindruck erweckt, die Taten bestreiten zu wollen, sondern eine moralische Erörterung gewollt, was in der Welt alles schief laufe.
...
Ebenso spricht die Verteidigungsschrift des Angeklagten vom 24.9.2003 („Was mich prägte“) dafür, dass es am 12.8.2001 zu dem festgestellten Vorfall gekommen ist: So hat der Angeklagte darin ausgeführt: „(…) Wir haben uns heftig gestritten, sie will nicht aufhören. Wie schon mal passiert, Sie geht auf mich los. Tritte und Schläge. Leider wehre ich mich. (…)“. Im Rahmen der Hauptverhandlung hat der Angeklagte auf Frage zu den Tatvorwürfen vom 12.8.2001 lediglich erklärt, er habe mit der Formulierung „nur gewehrt“ gemeint, dass er versucht habe, sich vor Schlägen zu schützen. Sowohl die Einlassung des Angeklagten als auch sein Schreiben vom 24.9.2003 belegen somit, dass es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau gekommen ist.
...
Jedenfalls stehen diese Behauptungen des Angeklagten im unvereinbaren Widerspruch zu seiner weiteren Einlassung, wonach er sich nur gewehrt habe. Diese Einlassung legt nahe, dass es tatsächlich zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen ist.
...
Schließlich hält es die Kammer für ausgeschlossen, dass die festgestellten Verletzungen auf einen Sprung der Nebenklägerin aus einem fahrenden Auto zurückzuführen sind. Es ist weder ersichtlich noch nachvollziehbar, wie sich die Nebenklägerin hierbei eine Wunde mit Abdruck von Unter- und Oberkiefer im Bereich des Ellenbogens hätte zuziehen können.
...
Die Einlassung des Angeklagten, sich am 12.8.2001 gegen seine damalige Ehefrau nur gewehrt zu haben, ist nämlich nicht vereinbar mit der Angabe, die Verletzungen der Nebenklägerin rührten von einem Sprung aus dem fahrenden Auto her.
...
Desweiteren erschöpft sich die dahingehende Einlassung des Angeklagten darauf, dass er pauschal angegeben hat, er habe nur Schläge abgewehrt. Die Einlassung des Angeklagten beinhaltet jedoch weder die Schilderung eines Angriffs der Nebenklägerin, noch lässt sie den Schluss zu, Würgen, Beißen, Treten und Schlagen seien geeignet und erforderlich gewesen, um einen solchen Angriff abzuwehren.
...
Schließlich erscheint die Äußerung des Angeklagten, er habe sich gegen seine Ehefrau nur gewehrt, angesichts des erheblichen und komplexen Verletzungsbildes mit einer Vielzahl von Verletzungen an verschiedenen Körperstellen und der körperlichen Überlegenheit des Angeklagten gegenüber seiner Frau, die der Zeuge R als sehr dünn und kläglich aussehend geschildert hat, fernliegend.

https://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/gerichte/l...

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... ob irgendein übelwollender quivis ex populo es darauf anlegt, ein Haar in der glasklaren Kloßbrühe zu finden!

Werter Gast #41, also nicht irgendein Gast!

Mit Latein versuchten schon Allianzen von Herrschern und dienstbaren Einflüsterern in vergangenen Zeiten ihrem Macht- und Deutungsanspruch Nachdruck zu verleihen. Aber das "irgendein übelwollender" holt Sie für jedermann aufs Gewöhnliche zurück. Als Solcher komme ich auf Ihre Darstellung zurück.

Sicher haben Sie mit der Tatsache recht, dass sich der Angeklagte unglücklich eingelassen hatte, strafprozessual gesehen zumindest zum Schluss. Ginge es dabei um ein Objekt, könnte man diesen Fakt für sich stehen und wirken lassen. Es handelt sich jedoch um einen Menschen, dem definitiv erhebliches Übel widerfahren war und der auch mit der WAV einer unangemessenen Belastung ausgesetzt wurde. Dazu hat Menschenrechtler in #30 auch unbestreitbare Tatsachen vorgetragen. Bezieht man diese Tatsachen mit ein, dann muss man auch anders mit den Einlassungen umgehen. Ansichtssache?

Welche Aufgabe hatte die WAV, allgemein der Strafprozess, generell die Justiz?

RECHTSFRIEDEN

Idealerweise führt der rechtskräftige Abschluss eines Rechtsstreits auch tatsächlich zu einem gerechten Interessenausgleich und einer Befriedung der Parteien. Rechtsfrieden bedeutet nicht, dass alle Folgen früherer Rechtsverletzungen beseitigt sein müssen. Rechtsfrieden kann auch herrschen, wenn sich die Rechtsgemeinschaft mit zurückliegenden Rechtsverletzungen abgefunden hat.  (Wikipedia)

Man könnte Rechtsfrieden als übergeordnetes gesellschaftliches Ziel des Rechtsstaats auffassen, dass durch konkurrierende Anforderungen an justizförmige Verfahren erfüllt werden sollen:

WAHRHEIT (Gerechtigkeit) und GEWISSHEIT (Prozessökonomie)

Ohne Wahrheit gibt es keinen Rechtsfrieden. Aber allein durch den Wahrheitsanspruch lässt sich Rechtsfrieden auch nicht erreichen. Irgendwann muss es dazu auch eine gültige Gewissheit geben. Aber Gewissheit ohne durchgreifende Wahrheit schafft nur einen formalen Scheinfrieden. Ein Garant für die tatsächlich erreichbare Wahrheit sollen ein willkürfreies, rechtsstaatliches Verfahren und die Rechtskraft nach Auschöpfung der Rechtsmittel sein. Nicht zuletzt spielt daher auch der Verzicht von martialischen und unwürdigen Mitteln (Folter, dauerhafte Ächtung/Rechtlosigkeit, Todesstrafe) eine wesentliche Rolle für den Rechtsfrieden. 

Das Wiederaufnahmeverfahren stellt eine Ausnahme von der Regel dar, die Verletzungen dieser Garantie beheben soll. Nicht jede (neue) Wahrheit oder Rechtsverletzung rechtfertigt eine Neuauflage des Verfahrens, aber auch der Anspruch auf Gewissheit zum Erreichten rechtfertigt nicht die Ignoranz gegenüber jeder (neuen) Wahrheit oder erfolgten Rechtsverletzung. Ein Spannungsverhältnis.

Wer den Rechtsfrieden in Strafsachen auf eine "Wahrheit des staatlichen Strafanspruchs" unter den Zeit- und Aufwandsbedürfnissen der Gerichte beschränkt, beschränkt Alle auf einen formalen Scheinfrieden. Damit müssen nicht Alle einverstanden sein. Es herrscht dann kein Rechtsfrieden.

Ich komme jetzt nur deshalb auf eine eigene Erfahrung mit einem Strafverfahren zurück, weil diese Erfahrung letztendlich eine positive Alternative zum Vorgehen des LG hier darstellte. Die Umstände wie Anlass, Auswirkungen und gesellschaftliche Relevanz sind im Vergleich natürlich lächerlich.

Wie schon in #29 dargestellt, fand eine Verhandlung statt, in der mein Anspruch auf vollständige Klärung mit dem staatlichen Strafanspruch abgewogen wurde. Über die Möglichkeit der vollständigen Klärung wurde konkret gesprochen und dafür ein Prüfansatz mit erheblichen Anforderungen an meine Mitwirkung gefunden. Faktisch eine Beweislastumkehr. Das hätte in einem weiteren Termin vermutlich erreicht werden können, wenn nicht eine Zeugenvernahme den Aufwand für Alle ins vollkommen Ungewisse katapultiert hätte. Unter diesen Umständen war meine weitere Mitwirkung vom Ausschluß des Zeugen wegen Belastungseifer und Unglaubhaftigkeit abhängig. Ansonsten hätte ich mich auf einen Strafantrag wegen falscher Zeugenaussage und entsprechendem Beweisvortrag beschränkt. Das war aber weder mein Ziel, noch das der STA und des Gerichts. Zu diesem Zeitpunkt war der Schuldvorwurf gegen mich so gut wie ausgeschlossen, die angeklagte Tat wenig wahrscheinlich. Das wurde im Termin konkret angesprochen! Nach mehrtägiger Prüf- und Bedenkzeit hat das Gericht das Einverständnis zur Einstellung ohne Feststellungen eingeholt und den Folgetermin abgesagt. Das ist Prozessökonomie.

Wusste hier der Angeklagte im WAV, was mit dem Verfahren erreichbar ist und auf welchem Weg? Wusste der Angeklagte, welche Ziele die STA und das Gericht verfolgen und welche Ziele ihm zugestanden werden? Hätte man dies frühzeitig geklärt und wegen des ausgeschlossenen Strafanspruchs die Einstellung gem. § 153 StPO angeboten, dann wäre die unglückliche Einlassung des Angeklagten anders zu bewerten. Ohne dem, musste das Verfahren eine (Ent)Täuschung für den Angeklagten werden. Trotzdem, ohne den engagierten Verteidiger wäre der Angeklagte soweit nicht gekommen, ohne den standhaften Angeklagten hätte der Verteidiger kaum gegen diese Strafanspruchs-Macht in diesem Umfang bestehen können. Ohne Jedermanns wäre der formale Scheinfrieden des Unrechts nie zur Disposition gestellt worden.

Noch einmal konkret:

Auszug aus der Dr. Strate-Doku zum WAV-Protokoll vom 08.08.2014 S.99/118 OStA Meindl:

"Zu § 21 StGB brauche ich keine Ausführungen zu machen, da §  21  StGB  eine  reine  Strafzumessungsregelung  ist  und  wir ohnehin nicht zu einer Strafe kommen werden. Das verbietet uns § 373 der StPO."

"Allerdings  ist  er  auch  hinsichtlich  der  ihm  nachgewiesenen Straftaten freizusprechen, weil dies § 373 Abs. 2 StPO zwingend vorschreibt." 

Das LG unterließ im Urteil Feststellungen zu diesen Rechtsgrundlagen.

Stattdessen zur Schuldfähigkeit auf S.11: "möglicherweise eine schwere andere seelische Abartigkeit" auf S.69: "Gesamtschau des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N", S.70: "gewisse Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer wahnhaften Störung besteht, wenn bestimmte Persönlichkeitsmerkmale  mit  bestimmten  Beziehungsmustern  und  sozialen  Rahmenbedingungen zusammentreffen." "In der Gesamtschau sind Art und Grad der psychischen Störung zwar nicht mehr sicher feststellbar. Jedoch ist das Vorliegen einer wahnhaften Störung, die das vierte Eingangskriterium des § 20 StGB erfüllt und so ausgeprägt war, dass der Angeklagte wegen dieser bei Begehung der Tat am 12.08.2001 nicht in der Lage war, nach der Einsicht vom Unrecht der Tat zu handeln, naheliegend" S.88: "möglicherweise eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit S.89: "Angesichts der bereits dargelegten, verbleibenden Zweifel an Vorliegen, Art und Ausmaß einer psychischen Störung im Sinne von § 20 StGB, ist auch eine Verminderung der Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat im Sinne von § 21 StGB nicht hinreichend sicher nachweisbar. Bereits deshalb kommt die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht."

Wurde der Gutachtenauftrag überschritten? War der Gutachter abzulehnen? Durfte sich das LG in der Rechtsfrage dem Gutachter anschließen? S.89:

"Die Kammer schließt sich auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N       an, wonach eine aufgehobene oder verminderte Schuldfähigkeit bei Tatbegehung zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht beweisbar ist."

Um das naheliegend "Überzeugende" dieser naiven aber akademisierten "Herleitungen" und "Wahrscheinlichkeiten" mal herauszustellen:

Man schließt letztlich doch immer von sich selbst auf Andere. Das LG und der Gutachter gehen wahrscheinlich, möglicherweise, nicht ausschließbar naheliegend davon aus, dass sie nach Eigenwahrnehmung in gleicher Situation in einem schweren abartigen Wahnzustand gewürgt und lebensgefährlich gebissen hätten. Da geht doch diese Gesamtshow doch (noch) in einem Biss runter.

         

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G.M. hätte m.E. nach dem Rechtsgrundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten“ freigesprochen werden müssen!

Anhand der ausführlichen, schriftlichen Urteilsbegründung ist zu erkennen, dass das WA-Gericht sich äußerst intensiv und umfassend mit dem Fall Mollath auseinandergesetzt gesetzt hat.Gleichwohl war es m.E. von Anfang an weitgehend ein U n t e r f a n g e n noch nach 12 Jahren gerichtsfest und zweifelsfrei über den Tatbestand einer Körperverletzung urteilen zu können.Allein diese Tatsache spricht dafür, den Zweifelsatz von Anfang an tatsächlich in Erwägung zu ziehen. Dieser Versuch der „Wahrheitsfindung“ im WA-Verfahren entbehrt nicht grotesker Züge (vgl. Kommentar # 30)

Während des WA-Verfahrens und auch in der Urteilsbegründung wurden akribisch nahezu alle Einzelheiten allerdings vornehmlich belastende Gegebenheiten bedacht und bewertet.Sehr auffällig ist allerdings auch, dass nahezu alle Angaben der Hauptbelastungszeugin letztendlich für glaubwürdig erachtet wurden. Umstände und mögliche Hinweise auf eine mögliche Falschbeschuldigung der Ex-Frau werden zwar kritisch reflektiert, schlussendlich dann nahezu durchgehend und stereotyp  für glaubwürdig gehalten. Diese Glaubwürdigkeitserklärungen wirken m.E. vielfach vordergründig, zu glatt und rationalisierend.Im Gegensatz dazu, werden die Darstellungen des belasteten Gustl Mollath nicht bzw. nicht angemessen gewertet und im vornherein für nicht glaubwürdig erachtet.

Merkwürdig: Einer Zeugin die systematisch Schwarzgeld verschoben, den Staat betrogen und sogar ihren Arbeitgeben hintergangen hat, wird von einem Gericht einseitig Glauben geschenkt, während einem verantwortungsbewußten Bürger, wie G.M. dem die Aufdeckung dieser illegalen, gesellschaftszerstörenden Geschäfte

zunächst nicht geglaubt wurde und er wegen seiner Wahrheitsliebe und Integrität schwer büßen musste, wird nachwievor kein Vertrauen entgegengebracht.

Die Tragik und Dramatik dieses fundamentalen Ehedramas, um die es um Werte und verschiedene Motive ging, blieb weitgehend außen vor. Wäre dies nicht ein Teil der Wahrheits- und Rechtsfindung?

Das offenkundige und auch nachweisbare Motiv der Nebenklägerin ihrem Ex-mann zu schaden, dass ihre Straftaten nicht aufgedeckt werden und sogar in Kauf genommen zu hat, dass er für 7 ½ Jahre zu Unrecht in der Forensik verräumt wurde und auch keinen nachehelichen Versorgungsausgleich zahlen zu müssen, deckt das WA-Gericht mit der lebensfernen Aussage zu:

„ da die Nebenklagerin offenkundig zum Zeitpunkt der Tatschilderung gegenüber den Zeugen noch nicht die Absicht hatte, sich vom Angeklagten zu trennen und dies auch weitere neun Monate tatsachlich nicht getan hat“.

Diese These ist absolut lebensfremd. Aufgrund des länger anhaltenden fundamentalen unüberbrückbaren Ehekonfliktes, spätestens mit der angeblichen KV bzw. Notwehr stand fest, dass sich P.M. scheiden lassen wollte und vorausschauend sich dieses Attest besorgt hat, schließlich war P.M. auch einve vorausschauende Anlageberaterin!

Mit den in sich schlüssigen und überzeugenden Thesen des Verteidigers, Herrn Dr. Strate, hat sich das Gericht offensichtlich nicht hinreichend auseinandergesetzt und sie finden sich in der Urteilsbegründung nicht einmal ansatzweise wieder.

Die Hauptbelastungszeugin hat sich als Mensch und in ihrer mitmenschlichen Verantwortung gegenüber ihrem langjährigen Ehemann nicht nur entzogen, sondern ihm eindeutig wissentlich existenziell extrem geschadet und sich wohlweislich nicht dem Gericht, dem Staatsanwaltschaft, dem Verteidiger gestellt. Ihre im v o r n h e r e i n mehr als fragwürdige Glaubwürdigkeit konnte also nicht ausreichend justiziell überprüft werden. Allein dieses Verhalten spricht gegen ihre Glaubwürdigkeit und auch dafür, dass ihre früheren nicht mehr durch sie vor Gericht überprüfbaren Aussagen nur noch von relativer Bedeutung sein können. Die Glaubwürdigkeit und die Seriosität Ihrer fragwürdigen Persönlichkeitsstruktur und ihres Verhaltens konnte nur aufgrund von früheren Zeugenaussagen geprüft werden, die ausgerechnet bereits zu dem Unrechtsurteil von 2006 beigetragen haben. Allein dadurch ergeben sich noch zusätzlich kaum überwindbare Zweifel.

Mit der von P.M. abgelehnten psychiatrischen Untersuchung, bei der auch aufgrund aussagepsychologischer Erkenntnisse der Wahrheitsgehalt ihrer Beschuldigungen hätte geprüft werden können, erklärte sich die Hauptbelastungszeugin nicht einverstanden.

Hauptzeugin war bereits 2006 und auch 2014 die befreundete Arzthelferin und Schwägerin, die nachweislich den Kontakt zu der Arztpraxis R. hergestellt hatte. Sie war die „Türöffnerin“ und es ist davon auszugehen, dass sie Ihren Chef vor der Untersuchung vorinformiert und damit beeinflusst hatte.

Der Verteidiger, Herr Dr. Strate konstatierte in seinem Plädoyer:

"Glaubt sie ernsthaft, dass wir das glauben werden? Diese Zeugin - das sage ich ganz bewusst in aller Seriosität, der ich versuche, mich bei meiner Berufsausübung zu befleissigen - ist eine Lügnerin, und sie tritt hier richtig frech auf.

Zur Hauptbelastungszeugin:

„ Auch ihre Darstellungen zum 31.05.2002 sind nicht konstant. Das dort angeblich erneut vollzogene Würgen konnte sie schon in der Hauptverhandlung am 08.08.2006 nicht mehr erinnern – was insbesondere durch die handschriftlichen Notizen Dr. L. bestätigt wird.P. M. hat – wie aufgezeigt – auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens wiederholt durch Lügen undTäuschungen einzuwirken versucht. P. M. ist kein taugliches Beweismittel.

Selbst wenn man das Attest des M. R. für bare Münze nimmt und auf der Grundlage des Attests konstatiert, dass die darin festgehaltenen Verletzungen auf die Einwirkung „stumpfer Gewalt“ zurückgehen, so ist damit weder etwas dazu gesagt, ob sie überhaupt von Gustl Mollath verursacht worden sind, noch, falls eine körperliche Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten stattgefunden hat, wie deren Ablauf war. Beweiswürdigung - das ist ganz entscheidend; ich zitiere dafür nicht eine Entscheidung des BGH, sondern nur unseren gesunden Menschenverstand, den wir auch als Juristen weiterhin bewahren sollten - ist nicht die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. So geht es nicht. Eine sorgfältige Beweiswürdigung muss sich auf triftige Beweismittel stützen. Das Attest des Dr. Reichel ist es nicht.

Dies hat Prof. Eisenmenger überzeugend dargelegt. Die früheren

Aussagen der P. M. sind es auch nicht. P. M. Ist kein taugliches Beweismittel. An ihrer Aussage bleiben nicht etwa nur Zweifel. Ihre Aussagen und Täuschungen, insbesondere gegenüber Frau Dr. Krach, aber auch in den Anfängen des Verfahrens vor allem gegenüber der Polizei, zeigen eine so starke manipulative Tendenz, dass von diesen Aussagen nichts, wirklich nichts zu halten ist.

In der Urteilsbegründung werden alle diese überzeugenden Argumente vom LG ausnahmslos weggeräumt und die fragwürdige Nebenklägerin durchwegs für glaubwürdig gehalten. Es besteht mitunter sogar der Eindruck, dass das Gericht sogar eine verständnisvolle, empathische Haltung für die angeblich geschlagene Ex-Frau aufbringt. Um im vornherein Vorbehalte gegen das Landgericht auszuräumen, wäre es angesichts gleichgelagerter, problematischer Gerichtsfälle gegen einen Mann (Fall Kachelmann) sinnvoll gewesen, das LG nicht mit drei Frauen und nur einem Mann sondern paritätisch zu besetzen.

Glaubwürdig wurde auch weiterhin die Arzthelferin gehalten, obwohl sie sich als Zeugin für die Anschuldigung der unglaubwürdigen Freiheitsberaubung hergegeben hat.

Auch P.M. wurde nachwievor für glaubwürdig erachtet, obwohl sie durch Ihre vage, zielgerichtete Aussage ihren Ex-Mann der Sachbeschädigung massiv und zu Unrecht verdächtigt hat und dies im selben Gerichtsverfahren festgestellt wurde.

Die sehr wichtige G.M. entlastende Aussage und noch dazu eidesstattliche Versicherung durch den Zahnarzt wird ebenfalls vom LG vorschnell und wegen eher unbedeutender Fragen, Zweifel weggeräumt.

Die offensichtliche Schlüssigkeit dieser Aussage hat sich „eins zu eins“ durch den offensichtliche Belastungseifer und dem systematischen, zerstörerischen und auch v o r a u s s c h a u e n d e n Vernichtungsfeldzugs durch die Ex-Frau unter Beweis gestellt.

Das Gericht überzeugt keineswegs mit der Scheibchen-Methode , die einzelnen Probleme, Fragen juristisch zu bewerten, abzuarbeiten und dabei nicht mehr in der Lage zu sein, das durchgehende destruktive Verhaltensmuster der Nebenklägerin sehen zu können oder auch zu wollen. Das LG hat es unterlassen diese eidesstattliche Versicherung pflichtgemäß auf Ihren Inhalt, Ihren Wahrheits- und Realitätsinhalt in die Beweiswürdigung einzubeziehen.Zumindest der Oberstaatsanwalt räumt das destruktive Vorgehen der Ex-Frau ein und zeigte ein gewisses Verständnis für dieses Verhalten mit der Begründung, G.M. hätte schließlich durch seine Anzeige bei der Bank der P.M. beruflich geschadet....?

Es bleibt festzustellen, dass die Hauptbelastungszeugin und die Arzthelfein nicht glaubwürdig ist und zumindest deswegen erhebliche und grundlegende Zweifel an sämtlichen Aussagen bestehen, insbesondere ob GM tatsächlich eine Körperverletzung begangen hat.

Der von Anfang an konstant gemachten Aussage von G.M.,die durchaus glaubhaft ist, dass er sich nur (passiv) gewehrt hat, wird als nicht glaubhaft verworfen. Die vom Staatsanwalt und später auch vom Gericht erhobene Beweiswürdigung, dass die Aussagen der Ex-Frau aufgrund ihrer inhaltlichen Konstanz glaubhaft seien, ist nicht überzeugend und lebensfern, da Unwahrheiten, Lügen ebenfalls und insbesondere konstant wiederholt werden, um den Anschein der Wahrheit zu erwecken.

Insbesondere die offensichtlichen und nachgewiesenen Widersprüche in den Aussagen der Nebenklägerin und der Sprechstundenhelferin sprechen für Unwahrheiten und Zweifel an der Glaubwürdigkeit diese Zeugen

Der tatsächliche Script für das destruktive Vorgehen der Nebenklägerin ist noch offen.

Infolge der Unglaubwürdigkeit der Nebenklägerin, der dargelegten massiven und umfassenden Zweifel hätte nach meinem Dafürhalten, zumindest der Rechtsgrundsatz im Verfassungsrang „in dubio pro reo“  im Urteil des WA-Gerichtes angewandt werden müssen, der zum Freispruch für Herrn Gustl Mollath geführt hätte.

Es stellt sich die Frage, ob die Nichtanwendung dieses Zweifelsatzes eine Beschwer darstellt, die die Zulässigkeit der Revision  begründet. Auch wenn das WA-Gericht in der Urteilsbegründung k e i n e r l e i   Zweifel aufkommen hat lassen....  Der  1. Senat des BGH hat vorgegeben, mit dem Antrag auf Zulässigkeit der Revision auch das WA-Urteil inhaltlich geprüft zu haben.

 

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Menschenrechtler schrieb:

Es stellt sich die Frage, ob die Nichtanwendung dieses Zweifelsatzes eine Beschwer darstellt, die die Zulässigkeit der Revision  begründet. Auch wenn das WA-Gericht in der Urteilsbegründung k e i n e r l e i   Zweifel aufkommen hat lassen....

Anwendung von "in dubio" oder nicht ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit.

 

 

 

Zum §153:

Es geht hier nicht um Schwarzfahren und "wegen der unübersichtlichen Ticketstruktur falsche Karte gekauft", sondern immerhin um eine gefährliche KV! Da muss man das Merkmal "geringe Schuld" des §153 wirklich begründen. Das Gericht müsste deshalb die Frage beantworten: "Wieso wäre die Schuld im Fall GM niedriger als in anderen Fällen der gefährlichen KV?"

 

Prozesstaktisch muss man auch noch folgendes bedenken:

153 kommt nur dann in Betracht, wenn der Tatbestand erfüllt ist, aber die Schuld vermutlich gering ist. (Vermutlich deshalb, weil die Schuld nicht festgestellt werden muss.) Wer also einen Freispruch haben will und die Tatbegehung abstreitet, wird nur im Ausnahmefall noch auf §153 zurückgreifen können (nämlich im Rahmen eines Deals, wenn ausser den Prozessparteien niemand zusieht - aber niemals bei solcher Medienpräsenz wie bei GM).

 

Und platt gesagt steht dann im Urteil was er alles gemacht hat (also die Beschreibung der schweren KV) und dann kommen die Ausführungen zur geringen Schuld.

Ein "echter Freispruch" ist das halt nicht, es wird nicht festgestellt, dass er die Tat nicht begangen hat. Wäre das eine Lösung, die GM gewollt hat?

Das Ergebnis ist eine Einstellung (die der Angeklagte im Gerichtsverfahren zwar ablehnen kann, gegen die es danach aber meines Wissens auch keine Rechtsmittel gibt).

 

Hier beispielhaft mal eine Einstellung nach §153 (in dem Fall schon seitens der Staatsanwaltschaft vor dem Gerichtsverfahren).

 

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-StA-Hamburg-Einstellung-2...

# 45 I.S.  Danke für Ihr Eingehen. Sie gehen davon aus, dass die Nichtanwendung des Zweifelsatzes eine Frage der

Begründetheit ist, was durchaus nachvollziehbar ist. Es stellt sich mir nachwievor die Frage, ob bei einer erheblichen,

offensichtlichen unrechtmäßigen Außerachtlassung des Rechtsgrundsatzes in dubio pro reo, nicht gleichzeitig eine schwerwiegende Besschwer vorliegen kann, die sicherlich erst einmal begründet werden muss.

M.E. ist die von Ihnen genannte Rechtsvorschrift des § 153 StPO bei der von mir aufgeworfenen Frage nicht in erster Linie einschlägig. Zur Klärung nachstehend eine einschlägige Kommentierung:

In dubio pro reo - Freispruch erster oder zweiter Klasse?

Strafrecht, Verfassungsrecht

 4,15,0Das Strafrecht kennt keinen Freispruch erster, zweiter oder dritter Klasse. Es spielt rechtlich keine Rolle, ob wegen erwiesener Unschuld oder mangels Nachweis der Tat freigesprochen wird.

Der Grundsatz In dubio pro reo  - im Zweifel für den Angeklagten - bedeutet, dass im Strafprozess ein  Angeklagter nicht verurteilt werden darf, wenn Zweifel an seiner Schuld verbleiben. Der Grundsatz ist in der Strafprozessordnung zwar nicht normiert, wird aber abgeleitet aus Art. 103, Abs.2 GG, Art. 6, Abs. 2 EMRK sowie aus § 261 StP0. Nicht der Angeklagte muss seine Unschuld beweisen, sondern seine Schuld muss ihm nachgewiesen werden.

Maßgebend für die richterliche Überzeugungsbildung ist gem. § 261 StPO die freie richterliche Beweiswürdigung. Dabei ist nicht auf bestimmte Beweisregeln abzustellen. Der Tatrichter darf für seine Überzeugung keinen naturwissenschaftlich sicheren Nachweis verlangen, sondern muss sich mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zufriedengeben, der letzte Zweifel nicht ausschließt, aber schweigen lässt. Bestehen solche Zweifel, ist der Angeklagte freizusprechen.

 

 

 

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Menschenrechtler schrieb:

# 45 I.S.  Danke für Ihr Eingehen. Sie gehen davon aus, dass die Nichtanwendung des Zweifelsatzes eine Frage der

Begründetheit ist, was durchaus nachvollziehbar ist. Es stellt sich mir nachwievor die Frage, ob bei einer erheblichen, offensichtlichen unrechtmäßigen Außerachtlassung des Rechtsgrundsatzes in dubio pro reo, nicht gleichzeitig eine schwerwiegende Besschwer vorliegen kann, die sicherlich erst einmal begründet werden muss.

Meiner Ansicht nach ist so eine Konstruktion überflüssig.

 

Wenn der "in dubio"-Grundsatz fälschlich zu Gunsten des Angeklagten angewandt worden ist, wird üblicherweise freigesprochen und der Angeklagte kann kein besseres Ergebnis erreichen (ggf. hat dann die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel zur Verfügung).

Wenn der "in dubio"-Grundsatz fälschlich zu Lasten des Angeklagten nicht angewandt worden ist, liegt üblicherweise eine Beschwer vor (denn dann erfolgt in der Regel eine Verurteilung).

Ausnahme sind Fälle, in denen die Verurteilung aus anderen Gründen unterbleibt, beispielsweise wegen Schuldunfähigkeit. Aber dann kann man die Beschwer auch an der passenden Stelle suchen, anstatt künstlich Teile der Begründetheit in die Zulässigkeit zu ziehen.

 

Anstelle Vorprüfungen zur Begründetheit in der Zulässigkeit zu machen, sollte die zu stellende Frage deshalb meiner Meinung nach bleiben: "Welche Arten von Beschwer sollten neben der Tenorbeschwer die Zulässigkeit von Rechtsmittel eröffnen?"

Denkbar wäre hier beispielsweise, dass in der Urteilsbegründung die Tatbegehung positiv festgestellt wird oder dass eine BZR-Eintragung wegen der Anwendung des §20 erfolgt.

 

Wenn die Hürde "Zulässigkeit" erstmal übersprungen ist, lassen sich Fragen zum "in dubio" in der Begründetheit prüfen, wo sie hingehören. Wenn sich die Zulässigkeit auch bei Ausweitung der möglichen Beschwer nicht erreichen läßt, wird man irgendwann auch dazu kommen, dass Prozessökonomie es erlauben muss, das Verfahren dann zu beenden.

 

In Urteilen soll Recht gesprochen werden, es muss darin nicht jedem Recht gemacht werden.

 

 

Was den 153 betrifft: Der bezog sich nicht auf den zitierten Beitrag, sondern allgemein auf die Diskussion zu diesem Thema hier im Blog.

Der Grundsatz In dubio pro reo  - im Zweifel für den Angeklagten - bedeutet, dass im Strafprozess ein  Angeklagter nicht verurteilt werden darf, wenn Zweifel an seiner Schuld verbleiben. (...)

Bestehen solche Zweifel, ist der Angeklagte freizusprechen.

Exakt DAS war hier der Fall, DARUM erfolgte der Freispruch.

Sie sagen es selbst.

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Gast schrieb:

Der Grundsatz In dubio pro reo  - im Zweifel für den Angeklagten - bedeutet, dass im Strafprozess ein  Angeklagter nicht verurteilt werden darf, wenn Zweifel an seiner Schuld verbleiben. (...)

Bestehen solche Zweifel, ist der Angeklagte freizusprechen.

Exakt DAS war hier der Fall, DARUM erfolgte der Freispruch.

Sie sagen es selbst.

Sehr geehrter Gast,

wie Sie nachvollziehen können, ging es mir bei meinem Kommentar # 43 vorige Seite um die Tatsache, dass G.M. mit der Körperverletzung durch das WA-Urteil ( m.E. zu Unrecht ) belastet wurde und dass bei dieser Straftat nicht " in dubio pro reo" Anwendung fand. Der Freispruch erfolgte d a n a c h  aufgrund des § 2O StGB wegen der nicht ausschließbaren Unzurechnungsfähigkeit. Die Körperverletzung und die Schuldunfähigkeit wurde sicherlich zunächst getrennt beurteilt.

Wurden diese zwei Rechtsfragen tatsächlich unabhängig voneinander beurteilt? Es dürfte einer menschlichen Unzulänglichkeit und Vorurteilen entsprechen, dass jemand, der psychisch krank ist oder bei dem eine seelische

Abartigkeit nicht ausgeschlossen werden kann, die Wahrscheinlichkeit sehr viel größer ist, eine Körperverletzung begangen zu haben. Hat das Gericht bei der Anlastung der KV dieses Vorurteil mit einfliessen lassen?

Dies wäre an sich naheliegend, wenn das WA-Gericht davon ausging, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei G.M. die Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der angeblichen KV nicht vorgelegen haben könnte.

Diese Vermengung zwischen der angelasteten Tat und der möglichen seelischen Abartigkeit dürfte m.E. zumindest unbewußt mit zu der Anlastung der KV beigetragen haben. Rechtsstaatlicher wäre deshalb die Schuldinterlokut-Regelung, die in der Schweiz angewandt wird. 

 

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@I.S. #45

Sie schreiben:

Zum §153:

Es geht hier nicht um Schwarzfahren und "wegen der unübersichtlichen Ticketstruktur falsche Karte gekauft", sondern immerhin um eine gefährliche KV! Da muss man das Merkmal "geringe Schuld" des §153 wirklich begründen. Das Gericht müsste deshalb die Frage beantworten: "Wieso wäre die Schuld im Fall GM niedriger als in anderen Fällen der gefährlichen KV?"

 

Prozesstaktisch muss man auch noch folgendes bedenken:

153 kommt nur dann in Betracht, wenn der Tatbestand erfüllt ist, aber die Schuld vermutlich gering ist. (Vermutlich deshalb, weil die Schuld nicht festgestellt werden muss.) Wer also einen Freispruch haben will und die Tatbegehung abstreitet, wird nur im Ausnahmefall noch auf §153 zurückgreifen können (nämlich im Rahmen eines Deals, wenn ausser den Prozessparteien niemand zusieht - aber niemals bei solcher Medienpräsenz wie bei GM).

Ihr erster Einwand zur Bagatelle "falsches Ticket" wäre ein guter Einstieg in das Thema Prozessökonomie vs. Strafanspruchsmanie. Die aktuellen Entwicklungen in Gesetzgebung und allgemeiner Diskussion zeigen die Tendenz des Eingreifens mit dem Owi- / Strafrecht in gewöhnliche Bagatellstreitigkeiten des Lebensalltags an, während gleichzeitig erhebliche Delikte wegen angeblicher Überlastung und fehlender Kompetenzen nicht ermittelt werden.

Aber der § 153 StPO ist auch nicht auf Bagatellen beschränkt, sondern auf Vergehen. Oder lag hier ein Verbrechen vor? Geringe Schuld heißt auch nicht Tatbestandserfüllung, sondern die Prognose nach Ermittlungen / Verhandlung allenfalls eine geringe Schuld feststellen zu können. Im vorliegenden Fall konnte nach Auffassung der STA schon nach Gesetz nur Schuldunfähigkeit bzw. Strafverzicht herauskommen. In der Sache lagen die Voraussetzungen für § 153 II StPO damit wohl vor, insbesondere wenn man den staatlichen Strafanspruch als Aufgabe des Strafverfahrens definiert.

Ein Einstellungsbeschluß gem. § 153 II StPO hätte auch keine Feststellungen zu den Tatvorwürfen enthalten müssen, die ja schon im Eröffnungsbeschluss und der Anklageschrift benannt sind. Der Einstellungsbeschluss hätte nur Ausführungen zur Zustimmung der Beteiligten und notwendige Erklärungen zum Umfang der Aufhebung von vorherigen Urteilsfeststellungen, dem schon prozessual bedingten Schuld- bzw. Strafausschluss und zu Kosten / Entschädigung enthalten brauchen. Die formalen Anforderungen sind deutlich geringer als an ein freisprechendes Urteil. Das Erfordernis der Zustimmung von Angeklagten und STA sorgt im Normalfall auch für den Rechtsmittelverzicht und Strafklageverbrauch.

Aus Sicht eines tatsächlich unschuldigen Angeklagten kommt die Einstellung auch dann in Betracht, wenn ein Freispruch wegen erwiesener Unschuld (keine Tatbegehung) praktisch nicht erreichbar scheint. Hier hatte der Angeklagte mit der Zwangsbeobachtung und dem Abweisen seiner Beweisanträge und Zeugen in der WAV schon deutliche Hinweise darauf, dass ihm der Nachweis seiner Nichttäterschaft und seiner Schuldfähigkeit nicht zugestanden wird. Eine Einstellung kann in jeder Lage des Verfahrens angeregt oder angeboten werden. Warum dies kein Thema war, könnten Prozessbeobachter sicher besser beantworten. Mögliche Gründe wären die besseren Chancen der Anklage durch die Verstimmung zwischen Angeklagtem und Verteidiger und / oder eine illusionäre Stimmung in der WAV, es würde doch um wahrhaftige Aufklärung gehen.

Auch der STA und dem LG hätte eine Einstellung deutlich besser zu Gesicht gestanden. Denn Freispruch wegen "in dubio pro reo" hin oder her, statt wahrhaftigem Aufklärungswillen sehe ich vor allem wahnhaftige Kaffeesatzleserei. Unbestreitbar u.a. auch die unbegründete, falsche Beweiswürdigung. Kläglicher geht Mühe im Ergebnis kaum.

Die gute Seite daran ist, dass sich auch mit dem nachfolgenden BGH-Beschluß die üblichen justizförmigen Verfahrensweisen so sehr offenbart haben, dass perspektivisch eine wissenschaftliche Überprüfung der juristische Methodenlehre und seiner praktischen Umsetzungen unvermeidbar erscheint. Das könnte sich zumindest mittel- und langfristig positiv auf Rechtsstaatlichkeit und Akzeptanz der Justiz auswirken, wenn die Blockadehaltung einmal aufgeben wurde. Die Begrenzung der Bedeutung des Falls auf bayrische Verhältnisse und das Schicksal von Weggesperrten halte ich daher für zu-kurz-gegriffen.       

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