Fall Mollath - BGH verwirft Revision
von , veröffentlicht am 09.12.2015Mit seiner heute bekannt gemachten Entscheidung hat der 1. Senat des BGH die von Gustl Mollath gegen das Urteil des LG Regensburg vom 14. August 2014 eingelegte Revision verworfen, Pressemitteilung.
Die Entscheidung wurde sogleich mit Begründung im Wortlaut veröffentlicht.
Die Ausführlichkeit der Begründung und deren sofortige Veröffentlichung stehen im erstaunlichen Kontrast zur erstmaligen Revision des BGH im Fall Mollath, bei der ein außerordentlich fehlerhaftes und problematisches Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom selben Senat einfach ohne nähere Begründung zur Rechtskraft „durchgewunken“ wurde. Immerhin scheint auch der BGH insofern aus dem Fall Mollath „gelernt“ zu haben. Zunächst nur ein kurzer Kommentar, den ich je nach Diskussionsverlauf möglicherweise in den nächsten Tagen ggf. noch ergänzen werde:
Wie ich schon zuvor verschiedentlich geäußert haben, war tatsächlich kaum damit zu rechnen, dass der BGH seine grundsätzliche Linie, der Tenor eines Urteils selbst müsse eine Beschwer enthalten, damit zulässig Revision eingelegt werden kann, gerade bei diesem Fall ändert. Dennoch gab es natürlich auch bei mir die leise Hoffnung, der BGH werde sich mit den sachlichen Einwänden gegen das Urteil, die auch ich noch hatte, auseinandersetzen.
Immerhin kann man den Beschluss angesichts der ausführlichen Begründung nun auch juristisch nachvollziehen, selbst wenn man ihm im Ergebnis nicht zustimmt. Es findet insbesondere auch eine Auseinandersetzung mit dem auch hier im Beck-Blog diskutierten vom EGMR entschiedenen Fall Cleve ./. Deutschland statt: Dort war der EGMR von der Tenorbeschwer abgewichen. Der BGH meint nun, das Urteil im Fall Mollath sei mit Cleve ./. Deutschland nicht vergleichbar, weil im Mollath-Urteil anders als im Cleve-Fall kein direkter Widerspruch zwischen Tenor und Begründung festzustellen sei.
Enttäuscht bin ich vom letzten Satz der Begründung des Beschlusses, der konstatiert, die Revision sei ohnehin unbegründet gewesen. Dieser Satz ist völlig verzichtbar und gibt dem Leser Steine statt Brot.
Abgesehen von der Kritik am Urteil des LG Regensburg möchte ich aber noch einmal darauf hinweisen: Der gesamte Fall in seiner Entwicklung und Dynamik ist ein aus Sicht des Dezember 2012 riesiger persönlicher Erfolg für Herrn Mollath und ist auch in seiner langfristigen Wirkung auf die (bayerische) Justiz und den Maßregelvollzug nicht zu unterschätzen.. Das sollte man – bei aller Enttäuschung über die heutige Entscheidung des BGH – nicht vergessen.
Update (14.12.2015): Eine eingehendere sehr kritische Analyse hat nun Oliver Garcia im delegibus-Blog veröffentlicht.
Update 3.3.2016: Die Kommentarspalte ist nach mehr als tausend Beiträgen geschlossen.
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1041 Kommentare
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Und gekennzeichnet durch welche Symptome?
Haben Sie auch einen Link auf die dazu erforderliche Diagnostik und wenn ja, was mich wundern würde, wo, wann und wie wurde diese bei GM durchgeführt?
Ab davon enthebt einen ein irgendwo von irgendwem niedergeschriebener (nicht etwa d e f i n i e r t e r !) Terminus technicus nicht gleich jeden Menschen der Fähigkeit des eigenständigen Denkens.
Oder an welcher Stelle erklärt sich in dem von Ihnen zitierten "Beleg" (für m e i n e angebliche Null-Ahnung sic!) die Verwendung (und Bedeutung!) des Wortes Abartigkeit?
Sie haben lediglich einen Hinweis darauf geben, WO diese Wort v ö l l i g unreflektiert verwendet wird.
Wobei MEHR angesichts der Faktenlage ja auch nicht möglich war. ;-)
By the way, mal eine Frage, an die wissenschaftlich denkenden Menschen hier im Blog, wie kann EINE " Diagnose" die e i n z i g passende und zutreffende schwerste Steigerungsform DREIER v ö l l i g unterschiedlicher psychiatrischer Krankheitsbilder (plus entsprechend divergierender zugehöriger Symptomatik) sein?
Wobei man, um das erkennen und begreifen zu können, natürlich erstmal wissen müsste, was Psychopathien, Neurosen und Triebstörungen sind ;-)
In dem Zusammenhang ein Lesetipp, auch für absolute Laien gut verstehbar "Irren ist menschlich", einschlägiges Standardwerk.
f&f kommentiert am Permanenter Link
In dem Zusammenhang ein herzliches Dankeschön an Sie, noch direkter konnte man meine These, dass es sich bei der sog. schweren anderen seelischen Abartigkeit lediglich um eine wissenschaftlich völlig substanzlose (nicht definierte und nicht valide verifzierbare) Sammel-Worthülse handelt, nicht belegen :-)
Außer man bewegt sich definitorisch auf der Ebene einer Kausalkette a la:
Brand-Schaden, Sturm-Schaden, Wasser-Schaden => Kaputt.
Ist irgendwo alles total kaputt und man weiß nicht, wo es genau herkommt
=> Total-Schaden.
Wenn das nur für mich nicht als wissenschaftliche Rangehensweise zählt, oute ich mich hier gerne als angeblich null Ahnung habender Exot. :-)
P.S: Versuchen Sie mal von Ihrer Versicherung beleglos für einen undefinierbaren Totalschaden Geld zu kriegen. Das würde
ja schon an der Frage scheitern, an w e l c h e Versicherung Sie sich wenden müssten. ;-)
Menschenrechtler kommentiert am Permanenter Link
Lieber Herr Blogger, ich möchte Sie auffordern die o.g. unsachlichen und herabsetzenden Äußerungen zu beenden.
Auch wenn man nicht Jura studiert hat, kann ein intelligenter und vernünftiger Mensch Gesetze und Kommentare, Bücher lesen und u n v e r s t e l l t Zusammenhänge erkennen. Z.B. den linguistischen Zusammenhang zwischen dem
hässlichen völlig unzeitgemäßen Begriff "Abartigkeit" und dem nationalsozialistischen Kampfbegriff "Entartung".
Der Wortstamm ist die "Art" und dies kann nicht von Ihnen geleugnet werden. Es bedarf einer Prüfung, ob dieser Begriff
während des Dritten Reichs in das Strafgesetzbuch eingeführt wurde. Der § 63 StGB wurde von den Nazi eingeführt, was hindeutet, dass möglicherweise auch der Begriff seelische Abartigkeit mißbraucht wurde, um angeblich abartige und nicht artgerechte Menschen aus der Gesellschaft zu entfernen....... Wurden mit diesem schwammigen Begriff nach 1945 weiterhin Menschen diskriminiert und verurteilt ? Tatsache ist, dass in der LG-Entscheidung dieser Diagnose dazu diente, G.M. zu psychiatrisieren.
F a l l s tatsächlich der Begriff "schwere seelische Abartigkeit" im Dritten Reich in den § 20 StGB und die Rechtssprechung eingeführt wurde und wie so vieles in wichtigen Gesetzen nach 1945 unverändert stehen geblieben ist und ausgerechnet im Wiederaufnahmeverfahren gegen Herrn Gustl Mollath schwer belastend und psychiatrisierend angewendet wurde, empfinde ich dies als skandalös.
Ein renomierter Psychiater hat mir bestätigt, dass dieser Begriff in der Psychiatrie nicht (angemessen )definiert ist.
Die von Blogger aufgeführte Definition beruht vermutlich aus einem Lexikon.
Es wäre noch zu klären, ob Prof. Nedopil in seinem Ferngutachten, überhaupt diesen vagen und fragwürdigen
Begriff verwendet hat.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrte Kommentatoren,
der Begriff schweren anderen seelische Abartigkeit klingt zwar so, dieses "vierte Merkmal" des § 20 StGB ist aber kein Produkt des Nazi-Rechts, sondern eines der Reform des StGB in der Nachkriegszeit und wurde insofern als Fortschritt angesehen, weil zuvor die Mehrheit (der Mediziner, v.a. aber der Juristen) einen Schuldausschluss nur bei den bekannten Psychosen (insb. Schizophrenie) annehmen wollten. Zur Geschichte des § 20 StGB ist folgende frei zugängliche Lektüre zu empfehlen, Wolfgang Schild, Uni Bielefeld:
http://www.jura.uni-bielefeld.de/lehrstuehle/schild/nomos___20
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Menschenrechtler kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Prof. Müller,
danke für Ihre Klarstellung und für Ihre wertvollen Hinweis auf die Informationen, wie um den § 2O StGB zwischen Juristen und Psychiatern gerungen wurde. Existierte in der Weimarer Republik und später im Dritten Reich eine Bestimmung vergleichbar mit dem § 20 StGB? Oder wurden psychisch kranke Straftäter ohne Rechtsgrundlage ins Gefängnis oder die Psychiatrie eingewiesen? Vergeblich habe ich versucht die Reichsstrafverordnung im Internet nachzulesen.
Auch wenn sich glücklicherweise zumindest nach der Großen Strafrechtsreform Einiges zum Besseren gekehrt hat, stellt sich die Frage, ob sich nicht der Ungeist aus der obrigkeitsstaatlichen später nationalsozialistischen Zeit in der Psychiatrie und auch in der Justiz teilweise fortgesetzt hat und auch noch heute ansatzweise wahrzunehmen ist. Der unsensible Gebrauch der Bezeichnung "schwerwiegende seelische Abartigkeit" spricht eher dafür, wenn er im Jahr der Grossen Strafrechtsreform 1969 ? noch Eingang in ein sehr wichtiges R e f o r m -Gesetz gefunden hat.
Dipl.-Psych. Dr. phil Sponsel kommentiert am Permanenter Link
Fehler" Nr. 15,3 in den Mustervorschriften der deutschen Wehrmacht im Kriege" vom 1.4.1944
Einspruch, sehr gehrter Herr Prof. Müller. Sie schreiben:
Die extrem entgleiste Wortschöpfung riecht nicht nur nach NS-Ideologie und Nationalsozialismus, sie stammt auch tatsächlich von den Nazis. Tondorf & Tondorf (GB): "Die Gesetzesformulierung beruht auf der überholten wissenschaftlichen Theorie der sog. Degenerationslehre [48] und ist in den "Mustervorschriften der deutschen Wehrmacht im Kriege" vom 1.4.1944 entnommen. Die "schwere seelische Abartigkeit" wurde darin als "Fehler" Nr. 15,3 und damit als bedingte Wehruntauglichkeit [49] aufgeführt."
MfG R. Sponsel
Gast kommentiert am Permanenter Link
Blogger hat recht was den terminus technicus angeht.
"Denn Schuld im Sinne von § 20 StGB bedeutet Vorwerfbarkeit und ist ein Rechtsbegriff, keine empirisch-medizinische Diagnose." BGH Beschluss Rn. 16
Lutz Lippke kommentiert am Permanenter Link
Dazu noch mal ein Zitat von Blogger
Mit "mehreren Qualitätssprüngen höherer Logik" verhält es sich wohl wie mit der "anderen schweren Abartigkeit". Der sogenannte Sophist setzt erst das Werturteil und leitet daraus die notwendigen Tatsachen und die zum Ziel führende Logik ab. Damit das Scheingerüst dieser Logik nicht allzu willkürlich wirkt, muss er die verdrehte Logikkette natürlich erfassen und möglichst geschickt konstruieren und erzählen können. Dieses Geschick erscheint (aus der Sicht des Sophisten logischerweise ;-) als höherwertige Kunst als die zu verkaufende Logik des grundständigen Folgerns.
Am Anfang steht also das Ergebnis, hier die "andere schwere Abartigkeit" - ein Stigma, das wohl Jedem irgendwie Angst einflössen könnte und auch soll. Diese Abartigkeit ist zwar unkonkret, kann aber mit einem möglichst breiten Spektrum schwer definierbarer Ausprägungen gefüllt werden, falls es doch mal jemand genauer wissen will. Steht diese Definition, dann muss die Hinführung zu den zulässigen Tatsachen so konstruiert werden, dass eine Ableitung des Ergebnisses aus den gewonnenen Tatsachen nicht nur möglich, sondern möglichst auch resistent gegen Widerspruch ist. Das ist ganz sicher kein einfacher Prozess. Nichts für Dummies. Hilfreich oder sogar notwendig ist ein uneindeutiger Begriffs- und Tatsachenfundus, auslegbare Regeln und viel Deutungsmacht. Die Kunst und Fähigkeit, mit diesen Elementen geschickt umzugehen, erscheint dann in der Tat als eine besondere Qualität höherer Logik.
PS: Als ergänzende Such- und Trainingsmethode ist fiktiv gegenläufiges Vorgehen auf vielen Gebieten Alltag und auch als nützliche Technik beim Problemlösen anerkannt. Irgendwo hatte ich aber mal gelesen, dass durch das ausufernde bis ausschließliche Frönen dieser "höheren Logikkunst" der schnelle Niedergang des antiken Athens befördert wurde.
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
Gleich welche Art von Belastung aus der Anwendung von § 20 StGB ausgeht. Jedenfalls stellt sie keine Sanktion dar. Und allein das zählt für die Beschwer nach Ansicht des BGH. Diese Einschränkung begründet der BGH mit der Aufgabe eines Strafverfahrens, die in der "justizförmigen Prüfung" lege, "ob gegen den Angeklagten ein staatlicher Strafanspruch besteht" (S.6 BA). Die so verstandene Aufgabe eines Strafverfahrens offenbart eine ganz besondere Rückständigkeit, die nicht nur in die vorkonstitutionelle Zeit reicht, sondern gar bis zu der Zeit des Inqusitionsprozesses.
Krack erklärt (zusammenfassendes Ergebnis: Seite 46) sehr schön die untergeordnete Bedeutung der "justizförmigen Prüfung" (Seite 44) und des "staatlichen Strafanspruchs" (Seite 44) für das Strafverfahren im Lichte des rechtsstaatlichen Rechtsfriedens und der Grundrechte. Einen Widerspruch in sich zeigt er am Beispiel eines Strafverfahrens wegen Übler Nachrede (Seite 148):
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Menschenrechtler,
der Vorläufer des § 20 StGB war § 51 RStGB:
"Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war."
Die Maßregeln"Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus" (also inhaltlich § 63 StGB) wurde kurz nach Machtergreifung der Nationalsozialisten eingeführt:
„Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ vom 24. November 1933 (RGBl. I S. 995)"
Die dadurch eingeführte und bis heute gültige "Zweispurigkeit" des Strafrechts war allerdings auch schon in der Weimarer Republik diskutiert worden und bestand seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Schweiz.
Beste Grüße
Henning Ernst Müller
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@I.S.
Ja, könnte man meinen, dass es möglich sein müsste - wie im Zivilprozess. Nur welches Verfahren soll es dafür geben?
MT kommentiert am Permanenter Link
http://blog.beck.de/2010/09/18/bgh-zu-urteilsberichtigung-im-strafverfah...
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@Fotobiene
Sie haben das Beispiel von Krack am Strafverfahren wegen Übler Nachrede missverstanden. Daran wird das gemessen, was der BGH als Aufgabe eines Strafverfahrens bezeichnet. Wenn es dabei nur um "justizförmige Prüfung" des "staatlichen Strafanspruchs" ginge, dann hätte sich das Strafverfahren wegen Übler Nachrede mit Spruchreife erledigt und weitere Beweisaufnahme wäre unzulässig. So verhält es sich, wenn der Angeklagte bei Spruchreife mangels Beweises weitere Beweisanträge stellt, die seine Unschuld beweisen sollen. Am Strafverfahren wegen Übler Nachrede zeigt Krack, dass die Aufgabe des Strafverfahrens nicht nur die "justizförmige Prüfung" des "staatlichen Strafanspruchs" sei, sondern auch Grundrechte, namentlich die Persönlichkeitsrechte auch eine wichtige Rolle spielen. Wenn der BGH einen Anspruch des vermeintlichen Opfers auf weitere Beweiserhebungen trotz Spruchreife wegen erheblicher ehrbeeinträchtigender Wirkung anerkennt, dann ist nicht einzusehen, dass er diesen Anspruch dem Angeklagten verweigert.
Dass die Aufgabe eines Strafverfahrens gerade im Zusammenhang mit der Beschwer auf "justizförmige Prüfung" des "staatlichen Strafanspruchs" verkürzt wird, das ist nicht neu. Dafür kann gewiss die Revisionsbegründung nichts. Man muss dem BGH gewiss auch nicht noch die Bedeutung der Grundrechte, der Persönlichkeitsrechte und der materiellen Wahrheit erklären. Ich erwähne die materielle Wahrheit deswegen noch, weil das doch der Name Ihrer "Leiche" ist, die "fröhlich pfeifend durch die Straßen geht". Interessiert den BGH nicht. Denn dann müsste er die Aufgaben eines Strafverfahrens und die Beschwer entsprechend erweitern, was er aber offensichtlich nicht will. Wie Sie unter diesen Umständen die Entscheidung des BGH "völlig ok finden" können, obwohl Sie zugleich durchaus erkennen, dass "etwas grundlegend falsch" ist, das kann ich nicht ganz nachvollziehen.
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@Fotobiene
Unter anderem in der "ehrbeeinträchtigenden Wirkung" der Feststellungen zur rechtswidrigen Täterschaft und damit des Unrechts. Mollath wird dadurch nicht nur in irgendeiner Weise belastet, was dem BGH ausdrücklich nicht genügt. Er hat auch nicht nur ein Interesse irgendeiner Art, mit weißer Weste aus dem Prozess hervorzugehen, sondern ein berechtigtes. Das ergibt sich ausdrücklich aus Nr. 171 Abs. 2 RiStBV:
Es ist allgemein anerkannt, dass der RiStBV die Auslegungsfunktion der StPO zukommt.
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@Fotobien
Irgendwo, ich vermute schon wo, liegt da ein Missverständnis. Deswegen muss ich noch eine Zwischenfrage stellen:
Hätten Sie Zweifel an der "ehrbeeinträchtigenden Wirkung" der Feststellungen, wenn - nur hypothetisch - die Nebenklägerin Mollath eindeutig entlasten würde, so dass absolut klar wäre, dass er die Tat nicht begangen hatte, also, wenn Sie so wollen, Ihre "lebende Leiche" auftauchen würde?
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@Fotobiene
Genau das habe ich vermutet. Sie begründen die Zulässigkeit und die Beschwer mit der Begründetheit. Sie nehmen also in der Zulässigkeitsprüfung die Begründetheitsprüfung vor und argumentieren auch entsprechend. Das geht nicht. Das ist ein grober Fehler.
Aber ich gebe zu, darauf könnte man beim Lesen des Art. 19 IV GG ohne juristische Vorbildung möglicherweise kommen:
Verlangt werden kann aber nur die bloße Möglichkeit der Rechtsverletzung. Ob das subjektive Recht tatsächlich verletzt wurde, das ergibt erst die Sachprüfung, die aber erst dann vorgenommen werden darf, wenn die Zulässigkeit bejaht wurde.
Natürlich sind die Feststellungen der Schuld nicht "ehrbeeinträchtigend", wenn sie das Ergebnis einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung sind. Auch die Verurteilung zu einer Sanktion verletzt den Angeklagten nicht in seinen Grundrechten, wenn sie ohne Rechtsfehler ist. Aber die Verletzung darf erst geprüft werden, nachdem die Zulässigkeit bejaht wurde. Für die Zulässigkeit, Beschwer und den Rechtsweg reicht die bloße Möglichkeit aus.
Es ist doch aber möglich, dass die Feststellungen zur Schuld "ehrbeeinträchtigende Wirkung" haben.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Ist das nicht ein Fehler ?
"Verlangt werden kann aber nur die bloße Möglichkeit der Rechtsverletzung. Ob das subjektive Recht tatsächlich verletzt wurde, das ergibt erst die Sachprüfung, die aber erst dann vorgenommen werden darf, wenn die Zulässigkeit bejaht wurde."
Die Nichtzulässigkeit hat demnach eine höhere Wertigkeit als die Sachprüfung. Die Nichtzulässigkeit verhindert somit eine Aufklärung. Die Nichtzulässigkeit zB. beim Ablauf einer Verjährung schützt möglicherweise "Täter".
I. S. kommentiert am Permanenter Link
Der Grund für diese Konstruktionen ist "Rechtssicherheit" - oder vereinfacht gesagt "irgendwann muss mal gut sein".
Wer nicht gerade nach 20 Jahren noch Strafen wegen Schwarzfahrens verhängen will, muss irgendwo Grenzen ziehen, wann man eine Tat als "abgehakt" betrachtet. Deshalb gibt es Verjährung, die abhängig von der Schwere der Tat mehr oder weniger lange auf sich warten läßt (oder im Falle sehr schwerer Taten wie Mord nie eintritt). Man kann sicherlich über die Ausgestaltung der Verjährung streiten, aber wohl kaum darüber, dass sie grundsätzlich sinnvoll ist.
Und ja, Nichtzulässigkeit macht die Sachprüfung überflüssig. (Sie verhindert sie nicht vollständig, es gibt fast immer die Möglichkeit, dass ein Gericht auch bei Unzulässigkeit ein paar Worte zum Sachverhalt verliert.)
Das ist aber auch sinnvoll. Wieso sollte ein Gericht sich mit Themen auseinandersetzen müssen, die schon aus prozessrechtlichen Gründen keine Chance auf Erfolg haben?
Beispiel: Wenn ich beim Familiengericht eine Kündigungsschutzklage einreiche, soll das Gericht dann erstmal prüfen, ob die Kündigung berechtigt ist, bevor es dann feststellt, dass es völlig egal ist, weil es nicht zuständig ist?
Wenn ein Antrag unzulässig ist, dann muss er nicht behandelt werden. Es ist Sache des Antragstellers, den Antrag so zu stellen, dass er zulässig ist. (Ja, ich weiss auch, dass das in diesem Spezialfall aufgrund des Umgangs mit einer "Begründungsbeschwer" so gut wie unmöglich ist, mir gings darum, dem Gast zu erläutern, dass die Reihenfolge "Zulässigkeit vor Begründetheit" trotzdem die sinnvollste Lösung ist.)
Menschenrechtler kommentiert am Permanenter Link
# Fotobiene + alle:
In der ernsthaften Diskussion in diesem Blog, ob die Revision zu recht, für unzulässig verworfen wurde, stellt sich m.E. die grundsätzliche Frage, welche Gründe und welche Verfahrensweisen zu den vielen falschen Begutachtungen, vorschnellen, verhängnisvollen Psychiatrisierungen, Falschbeschuldigungen und Fehlurteilen bei Herrn Gustl Mollath und vielen anderen angeblich oder tatsächlich psychisch kranken Menschen kommen konnte.
Gemäß Artikel 13 des UN-Behindertenabkommens wird deklariert:
„Stattdessen sollten behinderungsneutrale Grundsätze angewandt werden, die sich auf das subjektive Element der Straftat richten und die Lage des einzelnen Angeklagten berücksichtigen. Gemäß Artikel 13 der Behindertenkonvention könnten sowohl in der Vorverfahrensphase als auch während der Hauptverhandlung verfahrensbezogene Vorkehrungen erforderlich sein; dafür müssen entsprechende Normen beschlossen werden. http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/10session/A.HRC.1.4...
Nach § 136a StPO (Verbotene Vernehmungsmethoden, Bewertungverbote)
darf „Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten nicht beeinträchtigt werden ….... durch Verabreichung von Mitteln, nicht angewandt werden,. Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen, sind nicht gestattet. Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden! Gleichwohl sind vermutlich die Mehrzahl der psychisch kranken, noch nicht verurteilten Straftäter, die in der Forensik oder Psychiatrie sind, während der Verhandlung durch die starken Neuroleptike mental schwer beeinträchtigt und sediert, können sich in der Verhandlung nicht ausreichend, bewußtseinklar verteidigen und hinterlassen vielfach wegen der Medikation oft einen psychisch gestörtern Eindruck.
Diese Diskussion im Blog um die Zulässigkeit einer Revision, die zahlreichen vergeblichen Anträge auf Wiederaufnahme, die völlige Überlastung von Gerichten, der Vertrauensverlust von vielen Bürgern gegenüber der Jusitz wären nicht in diesem Ausmaß notwendig, wenn Ermittlungs- und Strafverfahren gegen psychisch oder angeblich psychisch kranke Straftätern korrekt, fair organisiert, geregelt und gehandhabt, sowie rechtsstaatliche Prinzipien konsequent eingehalten werden.
Herzlichen Dank an „Fotobiene“ auf den Hinweis auf die UN-Konvention!
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@Fotobiene
Ja, wirklich. Nur das, was Sie als diffuse Möglichkeit nennen, nennen Rechtsprechung und Rechtsliteratur Möglichkeitstheorie. Schlagen Sie nach, wenn Sie mehr darüber wissen wollen, im Zusammenhang mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 IV GG). Daran muss sich auch die Beschwer messen lassen.
Wovon? Der Möglichkeit einer Ehrverletzung des Revisionsführers (Persönlichkeitsrechte).
Ich habe Ihnen überhaupt keine Falle stellen wollen und auch nicht gestellt.
Lutz Lippke kommentiert am Permanenter Link
1. Was ich im Gesetz nicht sehe:
Es wird behauptet, dass der Zweck des Strafverfahren allein in der Sanktion / im staatlichen Strafanspruch / der Feststellung in der Urteilsformel / dem Strafauspruch liegt. Nur in der Urteilsformel könne daher eine orignäre Beschwer vorliegen. Zu dieser grundsätzlichen Sicht werden dann eventuell noch einige Ausnahmen zugestanden. Die Details dieser Rechtsmeinungen sind in der Diskussion ausführlich benannt worden.
2. Wie ich das Gesetz verstehe:
Diese Auffassung vom Zweck des Strafverfahren ist nach meiner Wahrnehmung jedoch bereits einfachgesetzlich falsch. Die Strafprozessordnung fordert auch bei einem Freispruch im Strafverfahren gem. §§ 260 (5), 267 (5) StPO bestimmte Feststellungen des Gerichts außerhalb der Urteilsformel. Ein "Freispruch" entspricht nur dann den einfachgesetzlichen Anforderungen und damit dem Zweck des Strafverfahren, wenn er bestimmte Ausführungen in Urteilsformel, Gründen und ggf. der Liste der angewandten Vorschriften (bei Freispruch aus rechtlichen Gründen) enthält. Der Gesetzgeber hat diese (Mindest-) Anforderungen damit eben nicht außerhalb des Zwecks des Strafverfahren angesiedelt. Der Freispruch besteht daher bereits einfachgesetzlich mindestens aus den Bestandteilen Urteilsformel + Gründe bzw. Urteilsformel + Liste + Gründe. Und das bereits vollkommen unabhängig von der Rechtsmittelfrage.
3. Was mich erstaunt:
Als Einzige gehen WR Kolos und I.S. zumindest teilweise auf meine entsprechenden Einwendungen ein. WR Kolos belässt es allerdings bei einer Korrektur in einem Detail, ohne auf die grundlegende Frage zu den rechtlichen Folgen der unstrittigen Gesetzesregelungen einzugehen. I.S. deutet meine beispielhaften Fallkonstellationen mehr oder weniger als Ausnahmen, die von allgemeinen Gesetzen nun mal nicht vollständig abgedeckt werden können und daher durch deren Auslegung erfasst werden müssten. Um Ausnahmen ging es mir jedoch nicht. Sondern vielmehr darum, dass der Gesetzgeber für die Rechtsmittelberechtigung weder eine Urteilsformelbeschwer (oder Tenorbeschwer) verlangt, noch den Zweck des Strafverfahrens auf Feststellungen in der Urteilsformel beschränkt.
4. Ist abartig ein Synonym von unartig?
Viele Kommentare und Hinweise sind interessant und erweitern den Horizont. So insbesondere auch der Hinweis/Link von Prof. Müller zum § 20 StGB. So erfahre ich durch den Link neben vielen wichtigen Infos zum § 20 StGB u.a., dass in der Rechtsdiskussion zum Begriff "Abartigkeit" die Kombination "abartig/artig" als Antonyme statt dem bekannten "unartig/artig" gehandelt werden. Ich kenne einen solchen Sprachgebrauch als deutscher Muttersprachler überhaupt nicht. Handelt es sich dabei um einen regionalen Dialekt? Werden Kinder irgendwo in D bei Verfehlungen nicht als unartig, sondern als abartig bezeichnet?
I. S. kommentiert am Permanenter Link
Blogger hat es schon angesprochen: Es dürfte genug Formulierungen in Urteilsbegründungen geben, in denen der Angeklagte als nicht zurechnungsfähig, Zeugen als unglaubwürdig oder Opfer als für die Tat mitverantwortlich bezeichnet werden.
Das kann durchaus geeignet sein, als ehrverletzend wahrgenommen zu werden.
Jetzt meine Frage dazu:
Gibt es (unabhängig von einem Angriff auf den Inhalt des Urteils mittels Revision/Berufung, der nur dem Angeklagten möglich ist) rechtliche Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren?
Eine Klage gegen den Richter wegen Beleidigung / Übler Nachrede dürfte wenig Aussicht auf Erfolg haben, oder?
Aber gerade in einem Urteil kann es sich doch auch nicht nur um eine Meinungsäußerung des Richters handeln?
Hintergrund der Fragestellung ist auch folgender: Wenn es einen allgemeingültigen Schutz gegen Beleidigungen in Urteilsbegründungen gibt, ist ein spezieller Schutz für den Angeklagten im Rahmen der Revision nicht nötig! Er kann dann auf den allgemeinen Schutz zurückgreifen. Wenn es den nicht gibt, stellt sich die Frage, wieso man den Angeklagten schützen soll, Zeugen oder Opfer aber nicht. Das spezielle Interesse des Angeklagten besteht in einem fairen Verfahren und einem darauf basierenden Urteil. Das Interesse daran, in der Urteilsbegründung nicht in der Ehre verletzt zu werden, ist keine Besonderheit des Angeklagten, sondern trifft jeden Beteiligten.
Der Ex-Angeklagte ist im Falle eines Freispruchs wegen Schuldunfähigkeit übrigens noch zusätzlich vor bestimmten Behauptungen geschützt. Zumindest meine etwas ältere Kommentierung zum § 190 StGB sagt:
- Freispruch im Sinne von § 190 ist nicht nur Nichtbegehung, auch Schuldlosigkeit oder Mangel an Beweisen.
- Kein Freispruch i.S.d § 190 liegt beispielsweise bei Verjährung, fehlendem Strafantrag etc. vor.
Meiner Ansicht nach würde eine Nichtverurteilung wegen Verschlechterungsverbot eher in die zweite Kategorie fallen.
Wenn ich das nicht völlig falsch verstehe, würde das in der Konsequenz im Falle GM bedeuten: Bei Freispruch wegen §20 darf nicht pauschal behauptet werden, er habe eine Körperverletzung begangen*. Bei Freispruch wegen Verschlechterungsverbot wäre diese Behauptung hingegen zulässig.
(*zulässig dürfte hingegen sein: "Hat eine Körperverletzung begangen, wurde aber wegen nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit nicht bestraft" oder "hat im Zustand der Schuldunfähigkeit die x verletzt")
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrte Foto Biene,
Sie schreiben als Antwort auf Herrn Kolos:
Ich glaube, Sie sind hier auf einem Holzweg. Für die Zulässigkeit etwa einer Festellungsklage im Verwaltungsprozess kommt es eben nicht darauf an, ob nach konkreter Prüfung der Begründetheit des Anliegens tatsächlich ein Rehabilitierungsinteresse besteht, sondern nur, dass die Möglichkeit einer (eigenen) Rechtsverletzung des Klägers besteht. Eine solche Möglichkeit besteht schon dann, wenn eine behördliche Feststellung den Kläger zB in seiner Ehre belastet. Selbstverständlch kann es jemanden in der Ehre belasten, wenn festgestellt wird, er habe seine Frau in gefährlicher Weise am Körper verletzt und werde nur deshalb nicht bestraft, weil er möglicherweise nicht Herr seiner Sinne war - diese Möglichkeit der Ehrverletzung ist doch nicht "diffus", sondern liegt auf der Hand - nebenbei ist dies Grundlage der Diskussion, die wir hier seit einigen Wochen führen. Dass eine Feststellung ggf. den Tatsachen entspricht (und damit die Klage unbegründet wäre), spielt bei der Zulässigkeitsprüfung gerade keine Rolle.
In seiner st. Rechtsprechung verengt der BGH die Zulässigkeit der strafrechtlichen Revision demgegenüber darauf, dass sich die Beschwer aus dem Tenor ergibt. Wenn die (nachteilige) Feststellung nicht im Tenor erkennbar ist und das Urteil keine Sanktion vorsehe, dann entfalle schon die Möglichkeit, eine potentielle Rechtsverletzung durch das Urteil zu überprüfen. Eine mögliche Rechtsverletzung, die allein aus der Entscheidungsbegründung hervorgehe, führe abgesehen von Ausnahmen nicht zur zulässigen Revision. DAS ist die Tenorbeschwer-Rechtsprechung, über die hier diskutiert wird. Dafür mag es gute Gründe geben, aber es gibt auch gute Gegenargumente.
Dabei geht es aber NICHT um die Frage, ob Herrn Mollath im Urteil das in den Urteilsgründen dargelegte Verhalten tatsächlich nachgewiesen wurde oder nicht. Die Beweislage ist ganz unerheblich für die Frage der Zulässigkeit und sie muss es sein. Die Überprüfung, ob man das Verhalten Herrn Mollath rechtlich ordnungsgemäß nachgewiesen hat und ob die rechtlichen Konsequenzen zutreffend waren, wäre eine Angelegenheit der Begründetheit.
Insofern liegt Herr Kolos richtig und es geht auch nicht um eine "Falle", die man Ihnen gestellt hat, sondern, ich glaube, um ein Missverständnis Ihrerseits.
Beste Grüße
Henning Ernst Müller
Gast kommentiert am Permanenter Link
@ Foto Biene
Die Beschwer liegt in der möglichen Ehrverletzung. Das beinhaltet keine Wertung in die eine oder andere Richtung. Wenn das LG alles richtig gemacht hat, ist die Revision unbegründet. Das ist aber keine Frage der Zulässigkeit.
Sie schreiben:
Ob das gegeben ist oder nicht, wäre eben erst in der Begründetheit zu überprüfen. Bei offensichtlicher Unbegründetheit kann auch durch Beschluss entschieden werden, § 349 Abs. 2 StPO. Es muss also nicht unbedingt zum Urteil kommen.
Gast kommentiert am Permanenter Link
@Foto Biene
Nö da unterliegt nicht jedes Urteil der Revision. Das Bundesverwaltungsgericht kommt mit der Arbeitslast ja auch ganz gut klar, obwohl die das schon ewig so machen.
Die Ehrverletzung spielt m.E. in der Begründetheit nur eine untergeordnete Rolle. Die Begründetheitsprüfung verläuft ganz normal, wie immer wenn die Zulässigkeit einmal eröffnet ist. Also im Sinne der allgemeinen Sachrüge die Frage, ob die Vorinstanz alles richtig gemacht hat. Da kommt dann alles hin, was hier im wesentlichen angesprochen wurde. Ob's dann hilft ist ne andere Frage, aber zumindest die gefährliche Körperverletzung steht ja nicht ganz so fest wie das LG das vielleicht gesehen hat.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrte Frau Foto Biene,
Sie fragen:
Schade, dass Sie immer noch Ihrem Missverständnis (betr. den Unterscheid zwischen Zulässigkeit und Begründetheit) unterliegen. Wäre die Zulässigkeitshürde geknackt worden, dann wären alle gerügten rechtlichen Fehler in der Revision überprüfbar. "Beruhte" das Urteil insoweit auf rechtlichen Fehlern, müsste es aufgehoben werden (Dann ergäbe sich selbstverständlich auch, dass Herr Mollath in der Ehre verletzt ist.)
1. Beispiel: Ich habe Zweifel an der Würdigung, es habe sich um eine gefährliche Körperverletzung gehandelt. Angenommen, die Würdigung des LG verstieße insofern gegen die Denkgesetze, dann läge ein rechtlicher Fehler vor, der in der Revision zur Aufhebung dieser Feststellung führen müsste. (Zu Ihrer "Ehren"-Frage: Es ist m. E. auch insofern schon ein Unterschied, ob festgestellt wird, dass man sein Gegenüber einfach am Körper verletzt hat oder ob dies in einer das Leben gefährdenden Weise geschah.)
2. Beispiel: Sicherlich ist von der Revision gerügt worden, dass die früheren Angaben der das Zeugnis verweigernden Nebenklägerin überhaupt bzw. nicht kritisch genug gewürdigt wurden. Wäre dies der Fall, dann handelte es sich um einen rechtlichen Fehler, der dazu führte, dass diese früheren Angaben überhaupt nicht hätten verwertet werden dürfen (dies ist immerhin eine Position in der Rechtswissenschaft). Ohne diese Angaben aber wäre der Tatvorwurf wohl insgesamt nicht zu belegen. Die Feststellung wäre aufzuheben.
3. Beispiel: Es wurde kritiisert, das Zustandekommen (und damit auch die inhaltliche Wahrheit) des Attests sei vom LG Regensburg fehlerhaft gewürdigt worden. Wäre dies ein denkgesetzlicher Fehler, wäre auch dies ein Rechtsfehler, auf dem das Urteil beruhen könnte, der zur Aufhebung der Feststellungen führen könnte.
Insgesamt: Das Ergebnis der Begründetheitsprüfung steht noch längst nicht fest. Aber wenn die Revision im Ergebnis erfolgreich wäre, dann wäre das Urteil aufzuheben. Selbstverständlich wäre auch die Ehre Herrn Mollaths insoweit betroffen, als ein Freispruch ohne nachteilige Feststellungen zur Körperverletzung (faktisch und ehrentechnisch) wesentlich günstiger wäre als das bisherige Urteil. Es entspricht auch den Anträgen der Verteidigung in der Hauptverhandlung, die auch beüglich der Körperverletzung von einer nicht nachgewiesenen Tat ausgingen. Die Beschwer Herrn Mollaths ergibt sich genau aus diesem Unterschied zwischen einem Freispruch ohne Feststellung einer Körperverletzung und Freispruch mit einer solchen Feststellung. Selbst der BGH sieht diesen Unterschied, sagt aber eben: Da die Feststellung der Körperverletzung nicht im Tenor steht und keine Sanktion zur Folge hat, gibt es keine Beschwer im Sinne unserer Interpretation.
Überspitzt: Nach Ihrem Verständnis von Begründetheit/Zulässigkeit einer Revision, entscheidet Frau Foto Biene, dass die Revision immer dann unzulässig ist, wenn Frau Foto Biene meint, das Urteil sei in der Sache richtig und enthalte deshalb auch keine Ehrverletzung. Im allg. ist es aber so, dass nach Zulässigkeit des Rechtsmittels erst die Prüfung der Begründetheit beginnt. Und wenn die Revision begründet ist, ist das Urteil aufzuheben. In der rechtsfehlerhaften Feststellung, jemand habe eine Straftat begangen, liegt m.E. unproblematisch auch eine Ehrverletzung. Noch einmal: Ob Rechtsfehler vorliegen, wird aber erst in der Begründetheit geprüft.
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
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@ Dr. Sponsel
Interessanter Fund. Fragt sich, inwiefern sich das im Gesetzgebungsverfahren ausgewirkt hat. Die geistige Vaterschaft steht aber so oder so fest.
Hier noch der GB link auf die relevante Seite: https://books.google.de/books?id=PcvQZRLR_OIC&lpg=PA29&hl=de&pg=PA29
Dipl.-Psych. Dr. phil Sponsel kommentiert am Permanenter Link
Die Nachkriegsjustiz war überwiegend von Nazis durchsetzt
Die Entnazifizierung war vollständig gescheitert und die NazijuristInnen kamen extrem glimpflich davon. Von den 570 Richtern und StA des Volksgerichtshofs wurde nur einer zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt, aber schon 1951 begnadigt. Und das Versagen der Nachkriegsjustiz ist weithin belegt.
Ich fürchte, der NS-Geist ist leider immer noch nicht aus der Justizpsychiatrie verschwunden.
Gast kommentiert am Permanenter Link
@ Foto Biene
Das geht mit der allgemeinen Sachrüge. Wenn man die Zulässigkeitshürde erstmal übersprungen hat, kann man sich, rein theoretisch, zurücklehnen und den BGH schön das materielle Recht prüfen lassen.
In der Praxis funktioniert das natürlich nicht so, es ist allerdringenst geboten möglichst genau dem BGH vorzugeben, welche materiellen Fehler denn vorliegen. Aber im Gegensatz zu der Rüge von Verfahrensfehlern kann man nicht an irgendwelchen Darlegungsvoraussetzungen scheitern. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrte Foto Biene,
Sie schreiben:
Jetzt verstehe ich langsam Ihr Missverständnis: Die Begründetheitsprüfung befasst sich nicht mit der Begründung der Revision, sondern mit der Begründung (besser rechtlichen Grundlage) des Urteils. In der Begründetheitsprüfung wird also geprüft, ob die Rüge Substanz hat, das Urteil enthalte Rechtsfehler und beruhe darauf. Ein Teil dieser Rechtsfehler (sachlich-rechtliche Fehler) werden genau so geprüft, wie Sie meinen, es ausschließen zu können: Es genügt in der Revision: Ich rüge sachlich-rechtliche Fehler. Dann überprüft der BGH das Urteil auf solche Fehler (z.B. ob § 224 StGB richtig subsumiert wurde). Bei den Verfahrensfehlern ist es anders; diese müssen von der Revision konkret im Einzelnen dargelegt werden. Für Sie vielleicht merkwürdig: Ob die Verfahrensrüge richtig begründet ist, ist wiederum eine Frage der Zulässigkeit.
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Sponsel,
vielen Dank für die Weitergabe Ihres Fundes. Diiese von den Nazis stammende Formulierung ist - wie auch immer - erst in der Strafrechtsreform in das StGB gekommen.
Wer weiterlesen möchte: Wegener, Seelische Abartigkeit, in: Kritische Justiz 1989, 316:
http://www.kj.nomos.de/fileadmin/kj/doc/1989/19893Wegener_S_316.pdf
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Dipl.-Psych. Dr. phil Sponsel kommentiert am Permanenter Link
Auch Wegener erkennt klar die Nazi-Handschrift dieser Formulierung
Sehr geehrter Herr Prof. Müller,
danke für den Link. Ich entnehme dem Aufsatz von Wegener, S. 317, dass dieser auch klar die Handschrift der Nazis erkennt, wenn er schreibt:
Ich nehme an, dass einige Rechtssätze wie auch Aussagen der Psychiatrie von der NS-Ideologie durchsetzt sind. Die Neigung, schon rein sprachlich zu entwerten, dürfte in beiden Disziplinen immer noch ausgeprägt vorhanden sein.
Dipl.-Psych. Dr. phil Sponsel kommentiert am Permanenter Link
Maßregelrecht kompliziert, verwirrend, schwierig
Das ergab sich gestern aus dem Vortrag "Die Sicherungsverwahrung: Schöne neue Welt oder Auslaufmodell?" im Rechtspsychologischen Kolloquium am 11.01.2016 Psychologisches Institut FAU Erlangen von Prof. Dr. Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen, Lehrstuhl für Kriminologie, Straf- und Sanktionenrecht.
Mein Eindruck: Das war ein interessanter, kritischer und ehrlicher Vortrag mit (selbst-) ironisch-humorigen Einlagen, verständlich und klar dargestellt mit dem ernüchternden Ergebnis, dass die grundlegenden Begriffe - Hang, Gefährlichkeit, Prognosemethoden - unklar sind. Hinzu kommt, dass die RichterInnen, die das zu beurteilen haben, dafür in aller Regel gar nicht ausgebildet (und daher meist den Sachverständigen ausgeliefert) sind. Das Maßregelrecht ist komplex, kompliziert, verwirrend und schwierig und daher ist eine Neuregelung mehr als überfällig.
Obwohl es bei Mollath nicht um die Sicherverwahrung ging unmd geht, wirft Prof. Kinzig m.E. doch ein sehr kritisches Licht auf das Maßregelrecht und den Maßregelvollzug. Er erwähnte auch , dass der "Fall Mollath" die Reformbestrebungen beförderte.
Quelle: Nachrichten vom Justizvollzug:
http://www.sgipt.org/forpsy/NJV.htm#Aktuelles
Gast kommentiert am Permanenter Link
@ Foto Biene
Die Zulässigkeitsbeschwerde überspringt man auch nur, wenn man anständig begründet, warum die Revision zulässig ist (und genügend Opfergaben an die Gottheit der jeweiligen Wahl erbracht hat). Das wird in der Begründung vom RA auch drin gewesen sein. Natürlich auch etwas zur Begründetheit, was dann unter den Tisch fällt. Aber so ist das eben.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Gemeint ist Zulässigkeitshürde
Name kommentiert am Permanenter Link
A propos Wortwahl (Hervorhebungen von mir):
Im in Österreich bis 1974 geltenden Strafgesetz von 1852 heißt es noch in §2: Gründe, die den bösen Vorsatz auschließen.
Daher wird die Handlung oder Unterlassung nicht als Verbrechen zugerechnet:
a) wenn der Thäter des Gebrauches der Vernunft ganz beraubt ist;
b) wenn die That bei abwechselnder Sinnenverrückung zu der Zeit, da die Verrückung dauerte; oder
c) in einer ohne Absicht auf das Verbrechen zugezogenen vollen Berauschung (§§. 236 und 523) oder einer anderen Sinnenverwirrung in welcher der Thäter sich seiner Handlung nicht bewußt war, begangen worden; […]
Seit 1975 heißt es im komplett neu formulierten StGB: §21 (1) Begeht jemand eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann er nur deshalb nicht bestraft werden, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, so hat ihn das Gericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.
Verglichen mit dem aktuellen Text mutet die Formulierung aus vordemokratischer Zeit geradezu humanistisch an. Und die "Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher" taucht auch in seriösen Medien in der Gerichtsberichterstattung ständig auf.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrte Foto Biene,
Sie schreiben:
und später:
Selbstverständlich weist ein guter Anwalt auch bei der Sachrüge auf die einzelnen Fehler hin, die er zu erkennen meint. Wenn Richter immer automatisch alles richtig machen würden, brauchte man doch überhaupt keine Verteidigung (und auch keine Diskussion hier). Natürlich wird Herr RA Ahmed neben seinen Ausführungen zur Zulässigkeit auch Ausführungen dazu gemacht haben, welche Rechtsfehler er im Einzelnen erkennt. Bei den Verfahrensfehlern wird er - soweit erhoben - auch im Einzelnen die Tatsachen vorgetragen haben, bei der Sachrüge wird er im Einzelnen dargelegt haben, welche Rechtsfehler im Urteil sieht. Das gilt natürlich auch insoweit, als der BGH aufgrund der Sachrüge ohnehin das gesamte Urteil prüft bzw. prüfen (sollte/müsste), wo also formal eine Begründung nicht notwendig ist. Ihre Ansicht - wenn Herr RA Ahmed ohnehin wusste, dass seine Revision unzulässig ist (und das hätte er ja wissen müssen/können), dann brauchte er doch gar keine Begründung schreiben - ist ziemlich abwegig. Selbstverständlich wird RA Ahmed diejenigen Gründe vorgetragen haben, die auch hier diskutiert werden, um den BGH von seiner Tenorbeschwer-Begrenzung abzubringen. Wenn er aber auch nur ein bisschen hoffte, die Zulässigkeitshürde zu nehmen, dann wäre es doch ein krasser Fehler gewesen, keine weitere Begründung zur Sachrüge und zur Verfahrensrüge zu schreiben. Gerade weil man nicht 100% voraussehen kann, wie das Gericht entscheiden wird, muss man eben alles vortragen, was auch nur die Möglichkeit eines Erfolgs in sich birgt. Deshalb liegen auch diejenigen falsch, die Herrn Strate vorwerfen, sein Wiederaufnahmegesuch sei überflüssig gewesen, da ja letztlich (nur) dasjenige der StA erfolgreich gewesen sei. Nach dem Motto: Warum hat er das denn alles aufgeschrieben, wo er doch hätte wissen müssen/können, dass nur der eine Grund (unechte Urkunde) durchgeht. Das ist einfach völlig praxisfremd und wer sowas behauptet, hat schlicht keine Ahnung. Und ziemlich nah dran an solch einem Vorbringen ist auch Ihre vom BGH übernommene Kritik an der Revisionsschrift (auf der ersten Seite der Kommentare):
Selbstverständlich kann auch die Medienwirksamkeit vorgetragen werden, wenn es um die Frage der Beschwer geht. Hätte doch sein können, dass der BGH sagt: Eigentlich unzulässig mangels Tenorbeschwer, aber ausnahmsweise, wenn ein Fall derart medienwirksam ist (und die Öffemtlichkeit war ja notwendig, um Mollath überhaupt rauszubekommen), dann eben doch zulässig. Aber Sie meinen, Sie hätten zu 100% das Gegenteil vorausgesehen und deshalb auf das Argument verzichtet? Weil Sie schon objektiv dessen "Jämmerlichkeit" erkennen? Wenn Sie die geringe Erfolgschance von Revisionen kennen würden, würden Sie als Anwältin wohl jedem Mandanten von vornherein von einer Revision abraten. Übrigens: Die heute noch diskutierten berühmten Revisionen waren eben die, die vorher nahezu aussichtslos erschienen, in denen nämlich der BGH die Chance ergriffen hat, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern. Ist selten, kommt aber vor.
Hier noch ein einfaches Prüfungsschema (für Studenten und Referendare), an der man die Komplexität der Fragen erkennen kann:
http://www.muenster.de/~lucas/jura/Revisionsgutachten.pdf
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Lutz Lippke kommentiert am Permanenter Link
Schön das Foto Biene letztlich recht behält und juristische Ratschläge erteilt hätte :-)
Was sich doch hier herauskristallisiert hat, ist die relative Unbestimmtheit des Zulässigkeitskriteriums "erforderliche Tenorbeschwer". Dieses Kriterium ist nicht unmittelbar aus dem Gesetz abgeleitet, sondern Ergebnis von mehrstufiger Gesetzesauslegung durch den BGH. Der BGH kämpft selbst mit der "richtigen" Verortung seiner Tenorbeschwer im Gesetz, weswegen er ergänzend auch pauschale Aussagen zu den Urteilsgründen anbringt. Sollte also ausnahmsweise die erforderliche Tenorbeschwer nicht als formales Kriterium der Zulässigkeitshürde zureichen, dann ergibt sie nach Ansicht des BGH in gleicher Weise auch bei der summarischen Prüfung der Begründetheit keine Beschwer. Der Revisionsführer könne nicht mehr als einen Freispruch erreichen. Ansonsten seien die Urteilsgründe notwendiges Beiwerk, ohne Relevanz für den eigentlichen Zweck des Strafverfahren und die Beschwer. Würde der BGH jedoch eine formale Zulässigkeit der Revision bejahen, dann müsste die Prüfung ihrer Begründetheit deutlich intensiver ausfallen. Es hängt also an den Dogmen "Freispruch ist Freispruch" und "erforderliche Tenorbeschwer", das eine vollständige Prüfung der Begründetheit der Revision unter vollständiger Beachtung des Revisionsantrags unterblieb. Das hat mit der Qualität des Revisionsantrags also wenig zu tun.
Was weiterhin übergangen wird, ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber einen Freispruch nicht auf die Urteilsformel beschränkt hat. Ein Freispruch aus rechtlichen Gründen gem. §20 StGB besteht nach dem Strafgesetz aus Feststellungen in der Urteilsformel, der Liste und den Urteilsgründen. Diese Feststellungen sind originärer Bestandteil der justizförmigen Prüfung des staatlichen Strafanspruchs und eben kein Beiwerk. Die Verkürzung des Freispruchs auf die Urteilsformel widerspricht dem Gesetz. Die Gleichmachung von Freisprüchen basiert auf dieser willkürlichen Beschränkung. Der Hebel gegen das Dogma der erforderlichen Tenorbeschwer liegt also in der StPO selbst. Mir scheint es so, als traue sich Keiner diese Feststellung, weil damit eine Verstoß gegen Gesetze und eine langjährige, willkürliche Auslegungspraxis offenbar würde. Der Umweg über eine ausnahmsweise Beschwer wegen Verletzung von Grundrechten soll diese Offenbarung vermeiden. Das ist vielleicht gut gemeint, aber verhindert auch die Klarstellung, wer eigentlich über das Gesetz herrscht - der Gesetzgeber oder Richter. Es ist also in dieser Sache eine Grundlage unserer demokratischen Ordnung berührt und nicht nur ein juristisches Problem zu lösen.
Menschenrechtler kommentiert am Permanenter Link
Herr Lutz Lippke zieht ein punktgenaues Fazit und ein Resümee aus den Kommentaren, insbesondere von Herrn Waldemar Kolos. Sehr beachtlich und beeindruckend für einen juristischen Laien.“Fotobiene“, von der man sich fragt, wo sie als juristische Amateurin, ihre präzisen Jura-Kenntnisse hat, trug durch ihren inspirierenden Widerpart zu dieser „Wahrheitsfindung“ bei.
Es steht außer Frage, daß Herr Gustl Mollath schwerwiegend existenziell durch die nicht auszuschließende „schwere seelische Abartigkeit“ - was für ein häßliches Wort - beschwert ist. Dies wurde durch die verschiedenen Beiträgen überzeugend und lebensnah begründet.
Besonders prägnant und erheiternd die zugespitzten, rationalen, lebensnahen Aussagen von f&f, die bei mir mitunter auch als eine Persiflage angekommen sind.
Der BGH hat nach meinem Dafürhalten die hauseigene, seit 1961 fortgeschriebene, nicht mehr zeitgemäße Rechtsprechung mit den Dogmen „Freispruch ist Freispruch“ und der Tenorbeschwer zu der Abwehr von legitimen, grundgesetzlich garantierten Grundrechten benutzt.
Herr Lutz Lippke führt aus:
„Mir scheint es so, als traue sich Keiner diese Feststellung, weil damit eine Verstoß gegen Gesetze und eine langjährige, willkürliche Auslegungspraxis offenbar würde.“
Meine Auffassung dazu: Mir scheint dies nicht nur so, sondern ich gehe davon aus, dass damit tatsächlich ein grundsätzlicher Verstoß und eine langjährige willkürliche Auslegungspraxis verschleiert und aufrechterhalten werden soll. Wie der BGH. selbst teilweise sich eingesteht:
„Aus prozessökonomischen Gründen!“.
Mit diesen Dogmen wurden - soweit ich dies abschließend beurteilen kann-, seit 1961 ! der grundgesetzlich garantierte Rechtsweg, nahezu allen Bürgern genommen, die nach § 2O StGB für unzurechnungsfähig erklärt und freigesprochen wurden und fatalerweise ggf. aufgrund eines Falschgutachtens, einer Falschbeschuldigung zu Unrecht psychiatrisiert sowie verurteilt wurden und in der Mehrzahl in der „Forensik, dem dunklen Ort des Rechts“ jahre-, jahrzehntelang untergebracht, Ihrer Freiheit, Gesundheit und Ihrer Würde beraubt wurden.
Insofern ist m.E. tatsächlich der § 2O StGB einer, der mehreren entscheidendendes Einfallstore für die horrende Zahl von Psychiatrisierungen und unrechtmäßigen und unverhältnismäßigen Unterbringungen nach § 63 StGB.
Es geht deshab nicht nur um Gustl Mollath, sondern um eine große
Anzahl von betroffenen Mitmenschen in der Vergangenheit und im Hier und Jetzt.
Die Dogmen des BGH entziehen mit dieser Rechtsprechung diesen existenziell schwer Betroffenen den Rechtsweg. Dies ist insofern tragisch und einem Rechtsstaat nicht würdig, da dadurch die Schwächsten der Schwachen, psychisch Kranke betroffen sind und möglicherweise Unschuldige.
Die von Fotobiene zitierte UN-Konvention bzw. Erklärung spricht zu Recht davon, dass die Verteidigung von Behinderten, also auch angeblich oder tatsächlich psychisch kranken Menschen nicht gewährleistet ist.
So stellt sich nach meinem Dafürhalten der gesamte Fall Mollath mehr oder weniger und in der aktuellen Frage dar. Durch die Zwangsbegutachtung im LG- und WA-Verfahren (nahezu durchgehend) hat sich G.M. nicht ausreichend verteidigen können.
Eine Grundsatzfrage, ein grundsätzliches rechtsstaatliches Defizit nach der zitierten UN-Konvention.
Ich bitte um Verständnis für diesen notwendigen Klartext. Falls diese Thesen und Zusammenhänge nicht den juristischen Ansprüchen genügt, der Wahrheit und Realität entsprechen sollten, bitte ich mich zu berichtigen.
Lutz Lippke führt weiter aus:
„Das ist vielleicht gut gemeint, aber verhindert auch die Klarstellung, wer eigentlich über das Gesetz herrscht - der Gesetzgeber oder Richter? Es ist also in dieser Sache eine Grundlage unserer demokratischen Ordnung berührt und nicht nur ein juristisches Problem zu lösen.“
Mein Kommentar dazu: Dies mit dem „gut gemeint“ und der Verhinderung einer Klarstellung in dieser grundsätzlichen Rechtsfrage könnte auch so ausgelegt werden, dass der BGH es darauf angelegt hat, dass Gustl Mollath diese Grundsatzfrage u.U„ aber wider Erwarten, „zuständigkeitshalber“ vor das Bundesverfassungsgericht und möglicherweise anschließend den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringt. Und gleichzeitig vermutlich davon ausgeht, dass Herr Gustl Mollath nach sieben Jahre Forensik und zermürbenden Prozessen nicht mehr die Geduld, die enorme mentale Belastung auf sich nehmen wird und Kraft nicht mehr aufbringen kann und wird. Dieses Wagnis doch einzugehen, Energie aufzubringen, würde wiederum das Verdienst von Gustl Mollath sein, unser gesellschaftliches Bewußtsein für Grundrechte, die Würde des Menschen, Gerechtigkeit, Recht und Unrecht zu heben.
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@Lutz Lippke
Und es widerspricht auch der Praxis. Zwar lernen Studenten das so, dass ein Urteil ausschließlich mit dem Inhalt des Tenors rechtskräftig wird. Aber so ganz stimmt das ja nicht. Denn wie wollen Sie ausschließlich mit dem Freispruchtenor den Strafklageverbrauch bestimmen, ohne den Gegenstand des Urteils (angeklagte Sachverhalt) zu kennen? Oder darf der Freigesprochene dann wegen keiner Tat mehr angeklagt werden - wegen ne bis in idem? Wohl kaum. Natürlich muss dafür ergänzend Rückgriff auf die Urteilsgründe genommen werden.
Lutz Lippke kommentiert am Permanenter Link
@ WR Kolos
Beim Freispruch schlägt in der Urteilsformel wohl positiv die Rücksicht auf den Freigesprochenen zu, denn bei einer langen Auflistung von Tatbeständen könnte das "wird freigesprochen von" in der Wahrnehmung untergehen. Wie Sie es ja schon mehrfach dargelegt haben, muss diese Auflistung als fiktiver Bestandteil eigentlich mitgelesen werden, weil er ja nur in die Gründe und Liste ausgelagert wurde. Betrachtet man den Freispruch als eine Negation der Verurteilung ist das eigentlich offensichtlich. Denn bei der Verurteilung müssen die verurteilten Straftaten in der Urteilsformel genau bezeichnet werden. Die Negation von "Straftat A" ist im Prinzip "Nicht (Straftat A)" und nicht "Nicht". Der Strafklageverbrauch ist dafür wirklich ein sehr gutes Beispiel.
Waldemar Robert Kolos kommentiert am Permanenter Link
@Lutz Lippke
Auch Henning Radtke schreibt:
Dipl.-Psych. Dr. phil Sponsel kommentiert am Permanenter Link
Frage: Wurde OLG Saarbrücken, NJW 1960, 2068 in der Diskussion schon berücksichtigt?
"Eine Beschwer des freigesprochenen Angeklagten, die sein Rechtsmittel zulässig macht, liegt auch vor, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, daß der Angeklagte wegen erwiesener Geisteskrankheit freigesprochen wurde."
Gilt das auch für eine "nicht ausschließbare" Geisteskrankheit?
Einen Zwischenstand der bisherigen Diskussionsergebnisse fände ich bei Gelegenheit hilfreich.
Gast kommentiert am Permanenter Link
@ Dr. Sponsel
Hatten wir hier noch nicht.
Klingt für mich interessant, weil mir genau das schon immer (wenn auch etwas diffus) als so ziemlich einziges eventuell mögliches Argument für das "Knacken" der Zulässigkeitshürde erschien (angeschnitten in #28 auf S. 1 dieser Diskussion, erst später habe ich mich zunehmend darauf konzentriert).
Gibt es die Entscheidung im Netz irgendwo frei verfügbar?
Dipl.-Psych. Dr. phil Sponsel kommentiert am Permanenter Link
Ich habe noch nichts gefunden. Ich kann nur noch mal genauer wiedergeben, was in beck-online steht:
"Beschwer des Angeklagten
StPO § STPO § 296; StGB § STGB § 51 Abs. STGB § 51 Absatz 1; GG Art. GG Artikel 1 Abs. GG Artikel 1 Absatz 1
Eine Beschwer des freigesprochenen Angeklagten, die sein Rechtsmittel zulässig macht, liegt auch vor, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, daß der Angeklagte wegen erwiesener Geisteskrankheit freigesprochen wurde.
OLG Saarbrücken, Beschluß vom 6. 7. 1960 - Ws 60/60
(Mitgeteilt von OLGRat Dr. Dahmann, Saarbrücken)
Anm. d. Schriftltg.:
Vgl. auch Kleinknecht-Müller, 4. Aufl., Vorbem. 3 b vor § 296 StPO; Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Vorbem. 15 vor § 296 StPO; RGSt. 69, RGST Jahr 69 Seite 12; BGHSt. 7, BGHST Jahr 7 Seite 153 = NJW 55, NJW Jahr 1955 Seite 639; Schwenk, NJW 60, NJW Jahr 1960 Seite 1932."
meinemeinung kommentiert am Permanenter Link
@Professor Sponsel:
"Erwiesene Geisteskrankheit" steht aber nicht im Mollath-Urteil drin. Worin soll also die Beschwer liegen bzw. weshalb sollte OLG Saarbrücken einschlägig sein?
Gast kommentiert am Permanenter Link
Das wird doch hier seit vielen Seiten diskutiert. Lesen Sie doch einfach nach.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrte Kommentatoren,
es ist schon ein ganz wesentlicher Unterschied, ob der Freispruch aus (lediglich) nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit in dubio pro reo erfolgt, oder ob es (wie im Fall des OLG Saarbrücken) um eine als erwiesen erachtete Geisteskrankheit geht.
Nur wenn § 20 StGB direkt (also nicht auf in dubio pro reo gestützt) angewendet wird, ergibt sich auch die Möglichkeit einer Unterbringung nach § 63 StGB. Deshalb passen auch die Einwände des "Menschenrechtler" NICHT, wenn er schreibt, es gehe um alle Freigesprochenen, die in der Psychiatrie landen, also nicht nur um Herrn Mollath,
Selbstverständlich ist es eine Beschwer, wenn ein Freigesprochener anschließend in der Psychiatrie untergebracht wird - daran hat der BGH bislang auch keine Zweifel und es trifft NICHT zu, dass in diesen Fällen aus prozessökonomischen Gründen eine Revision als unzulässig erachtet wird. Aber dies ist eben gar nicht die Frage, die sich im Mollath-Fall stellt.
Im vorliegenden Fall besteht die (vom BGH mangels Schuldfeststellung/Sanktion als nicht relevant erachtete) Beschwer darin, dass 1. im Urteil die rechtswidrige gefährliche Körperverletzung an seiner damaligen Ehefrau festgestellt worden ist und 2. auch bei nur nicht ausgeschlossener Schuldunfähigkeit ein BZR-Eintrag erfolgt. Beide durchaus beschwerdefähigen Einwände werden vom BGH infolge seiner Tenorbeschwer-Rechtsprechung m.E. zu Unrecht zurückgewiesen.
Mit besten Grüßen
Henning Ernst Müller
OGarcia kommentiert am Permanenter Link
Zu der angesprochenen Entscheidung des OLG Saarbrücken von 1960 (!) hat sich der BGH in seiner Thema "Tenorbeschwer" zentralen Entscheidung BGHSt 16, 374 (http://dejure.org/1961,186) geäußert, und zwar wie folgt:
Die abweichenden Positionen in der OLG-Rechtsprechung waren der Grund, warum der BGH eingeschaltet wurde (Divergenzvorlage, § 121 Abs. 2 GVG). Bemerkenswert finde ich in dem BGH-Zitat das Wort "sogar". Man darf es übersetzen mit "Das ist ja besonders kurios, daß eine solche Meinung vertreten wird." Der Grund dafür ist offenbar, daß - überwiegend unausgesprochen - die Diskussionsteilnehmer von unterschiedlichen Vorverständnissen ausgehen, wo eigentlich die materielle Beschwer (deren Vorliegen zu prüfen ist) zu suchen ist: Eher/Ausschließlich in der Täterschaftszuschreibung oder eher/ausschließlich in der Zuschreibung eines bestimmten Geisteszustands. Für ersteres hatte der BGH damals, wie das "sogar" zeigt, von vornherein keinen Sinn. In http://blog.delegibus.com/2014/08/28/fall-mollath-zum-freispruch-verurte... habe ich die Meinung vertreten, daß beides selbständig für sich beschwerbegründend sein kann.
Was das andere "Standbein" betrifft, so lautete die Argumentation des OLG Stuttgart in NJW 1959, 1840 so (zu der Entscheidung des OLG Saarbrücken ist nur ein Leitsatz veröffentlicht; sie ist nach dem Aktenzeichen auch keine Revisionsentscheidung):
Daß es im Hinblick auf die Beschwerfrage einen entscheidenden Unterschied gibt zwischen der Anwendung von § 20 StGB aus voller Überzeugung oder in dubio pro reo, glaube ich nicht. Ebenso wie Kuckein, der in seinem Aufsatz (Zur Beschwer des Angeklagten bei einem Freispruch wegen Schuldunfähigkeit, in Gedächtnisschrift für Rolf Keller, 2003, S. 137) durchgehend die festgestellte und nicht ausschließbare Schuldunfähigkeit gleichstellt, meine ich, daß es auf die Unterscheidung grundsätzlich nicht ankommt, denn wegen der hohen Anforderungen an einen in-dubio-Spruch schließt ein solcher im Regelfall ein, daß das Gericht positiv einen Sachverhalt für gegeben hält, der den Angeklagten hinreichend aus dem Bereich des "Normal-psychologischen" absondert. Für dessen sozialen Geltungsanspruch als wehrfähiges Recht kann dies - von allen Unterschieden, die es im übrigen geben mag - gleichbedeutend sein.
Dipl.-Psych. Dr. phil Sponsel kommentiert am Permanenter Link
Nachfrage: Beschwer und Geisteskrankheit ...
Herrscht denn hinreichend Klarheit, ob I. im Tenor, II. in den Gründen a) die Zurechnung einer Geisteskrankheit oder b) die ncht auschließbare Zurechnng einer Geistesrankheit eine Beschwer ist bzw. unter welchen Bedingungen?
Ich hatte die Diskussion hier so verstanden, dass es auf den Tenor (Entscheidungsformel) und nicht auf die Gründe ankommt? Das hätte den Nachteil für den Angeklagten, dass das Gericht, wenn es sich unangreifbar machen will, den Tenor inhaltlich kurz hält. Ist klar, was im Tenor zu stehen hat oder gibt es da auch Spielräume? Ist Revision svchon möglich, wenn eine Tenorverkürzung der Fall sein sollte? Doch wie könnte der BGH eine Tenorverkürzung feststellen und dann auch rügen?
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