Loveparade 2010 - Einstellung des Verfahrens!

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 04.05.2020
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Der Strafprozess betr. die Loveparade 2010 (21 Tote, hunderte Verletzte) ist soeben eingestellt worden.

Das ist bitter für die Nebenkläger, insb. die Hinterbliebenen der m.E. durch falsche Planung, unzureichende Vorbereitung und Einhaltung der Auflagen sowie falsche Reaktionen am Veranstaltungstag verursachten Todesfälle, die bis zuletzt zumindest auf die Einführung und Diskussion des schon seit zwei Jahren vorliegenden Gutachtens gehofft hatten.

Aus der Begründung des  Beschlusses zitiert:

Die Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO ist gerechtfertigt, weil eine etwaige Schuld der Angeklagten infolge einer Gesamt-schau aller relevanten Umstände zum jetzigen Zeitpunkt – im Rahmen des § 153 StPO ist die hypothetische Schuld eines Angeklagten im jeweiligen Verfahrensstadium zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.05.1990 – 2 BvR 254/88, 2 BvR 1343/88, Rn. 38, zitiert nach juris; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 – 3 StR 240/06, Rn. 2, zitiert nach juris) – als (nur) noch gering im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist und ein öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung nicht mehr besteht. Dabei hat die Kammer besonders gewertet, dass die tragischen Ereignisse auf der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 nach den bisher gewonnenen Erkenntnissen auf das Zusammenwirken einer Viel-zahl miteinander korrelierender Ursachen zurückzuführen sein dürften, das Geschehen bereits fast zehn Jahre zurückliegt, die Angeklagten durch selbiges sowie das mediale Interesse erheblich belastet gewesen sein dürften und inzwischen nur noch eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, das Verfahren mit einem Sachurteil beenden zu können.

Auf den weiteren ca. 40 Seiten des Beschlusses wird immerhin der vom Gericht für wahrscheinlich gehaltene Ablauf der Planung, Genehmigung und Durchführung der Loveparade 2010 zusammenfasend dargestellt, wie es in etwa auch durch eine mündliche Gutachtenerstattung durch den Sachverständigen hätte erfolgen können.

Bei der ersten Sichtung entspricht dieser Bericht weitestgehend meiner Einschätzung, dass hier alle drei  Institutionen (LoPa, Stadt Duisburg, Polizei) ursächliche  Faktoren egsetzt haben.

Im Fazit dazu heißt es (Hervorhebung ergänzt):

Zusammenfassend ist unter Berücksichtigung der dargestellten Verdachtslage hinreichend wahrscheinlich, dass sich die tragischen Ereignisse am 24. Juli 2010 durch eine unkoordinierte Steuerung von Personenströmen in einem Veranstaltungsraum, der für das Veranstaltungskonzept und für die erwarteten und auch die tatsächlichen Besucherströme im Zu- und Abfluss zur und von der Eventfläche nicht geeignet gewesen und dessen Nichteignung im Vorfeld der Veranstaltung von keiner der an der Planung und Durchführung beteiligten Personen und Institutionen erkannt worden sein dürfte, verursacht worden sein dürften. Unmittelbar dürfte das unpassende Errichten der dritten Polizeikette zwischen den querschnittsverengenden Zaunelementen und nahe der Treppe und des Lichtmastes dazu geführt haben, dass die Drucksituati-onen und Wellenbewegungen „am Kopf“ des Rückstaus im Zufluss ins-besondere nahe der Treppe verstärkt aufgetreten sein dürften. Dabei dürfte einerseits gelten, dass aufgrund der Planungs- und Ausführungs-fehler unabhängig davon, welche Handlungen am Veranstaltungstag vorgenommen worden wären, von Beginn der Veranstaltung an Gefähr-dungen zu erwarten und Gefahren für Leib und Leben der Besucher jedenfalls nicht auszuschließen gewesen sein dürften.

Insbesondere dürfte es auch bei einem fiktiven Verlauf ohne Polizeiketten mit an Si-cherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Menschenverdichtung im unteren Bereich der Rampe Ost gekommen sein. Andererseits dürfte es am Veranstaltungstag trotz der Planungs- und Ausführungsfehler auch noch Möglichkeiten für alle beteiligten Institutionen gegeben ha-ben, die tragischen Ereignisse zu verhindern. Eine koordinierte Steue-rung der Personenströme am Veranstaltungstag mit koordinierten tem-porären Maßnahmen wie temporären Schließungen der Vorsperren und/oder Vereinzelungsanlagen und/oder verstärktem Einsatz von „Pushern“ im Übergangsbereich zwischen der Rampe Ost und der Eventfläche und/oder einer temporär veränderten Floatsteuerung bis hin zu einem Abbruch des Zuflusses zum Veranstaltungsgelände bzw. zur Stadt Duisburg dürften grundsätzlich geeignet gewesen sein, die Men-schenverdichtung im unteren Bereich der Rampe Ost mit Todesfolgen und Verletzungen zu verhindern. (...)

Am Veranstaltungstag dürften mithin zahlreiche, oben aufgezeigte Fehler in der Planung, Ausführung und Umsetzung der Veranstaltung, die teilweise, nicht jedoch ausschließlich auf das Verhalten der Angeklagten zurückzuführen sein dürften, zusammengewirkt haben.

Während ich auch einigen Erwägungen des Gerichts durchaus zustimmen kann, die sich auf die Einschätzung der hypothetischen Schuld der Angeklagten beziehen, kann ich dieser Wertung des Gerichts, die Komplexität der Verursachung führe zu einer geringeren (Fahrlässigkeits-)Schuld des Einzelnen, nichts abgewinnen:

Insgesamt dürften die tragischen Ereignisse auf der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 nach derzeitigem Kenntnisstand mithin auf zahlreiche Ursachen zurückzuführen sein, die gemeinsam gewirkt und deren Ursachen und Wirkungen mehrfach miteinander korreliert haben dürften. Unterstellt, den Angeklagten könnte die ihnen vorgeworfene Tat nachgewiesen werden, wären mithin zu ihren Gunsten zahlreiche Ursachen zu berücksichtigen, die dem pflichtwidrigen schuldhaften Handeln einer Vielzahl anderer an der Planung und Durchführung der Loveparade 2010 in Duisburg Beteiligter zuzurechnen sein dürften, wenngleich selbige nach den derzeitigen Erkenntnissen den vermeintlich durch die Angeklagten in Gang gesetzten Kausalzusammenhang nicht unterbrochen haben dürften.

 

Im Moment bleibt bei mir eine gewisse Enttäuschung, dass dieser Prozess ohne Ergebnis zuendegeht, und ein Unverständnis, dass dies ohne die Einführung des Sachverständigengutachtens geschieht.

Update 7.5.2020:

Es geht im Strafrecht nicht darum, politische oder moralische Verantwortung zu klären. Dass diese bei Herrn Sauerland und Herrn Schaller lag, mögen die beiden (reichlich spät, aber immerhin) irgendwann eingesehen haben. Aber dass ein Firmenchef nicht selbst (in eigener Person) eine Veranstaltung seiner Firma plant, und ein Oberbürgermeister nicht selbst Pläne einer von ihm gewünschten Veranstaltung technisch prüft, das sollte doch jedem klar sein.

Ein Speditionschef ist ja auch nur sehr begrenzt verantwortlich zu machen für die Tötung eines Radfahrers, der von einem LKW beim Abbiegen erfasst wird, weil der Fahrer nicht in den Spiegel geschaut hat, sondern auf sein Handy.  Bei den Chefs hätte möglicherweise eine Fahrlässigkeit in der Auswahl ungeeigneter Personen gelegen oder, wenn sie selbst bestimmte todesursächliche Vorgehensweisen selbstherrlich durchgedrückt hätten. Aber für letzteres fehlten tatsächliche Anhaltspunkte und offensichtlich waren weder die städtisch zuständigen noch die firmenintern beauftragten (und bezahlten) Kräfte, die diese wichtigen Aufgaben erledigen sollten, ungeeignet. Im Gegenteil: Teilweise lag große Erfahrung vor in der Veranstaltungsplanung und -durchführung sowie Entscheidungsgewalt über viele heikle Punkte, die jetzt (und auch schon seit September 2010!) als Ursachen in Betracht zu ziehen sind. Ebenso wie Autofahrer für kleinste Fahrfehler auch strafrechtlich haften, wenn diese unfallbedingt (meist mit komplexen Ursachen und hohem Zufallsanteil) zu Toten oder Verletzten führen, lag hier m.E. keine durchgreifende Schuldminderung wegen "Multikausalität" vor. Im Gegenteil: Die Angeklagten haben als Experten (in Arbeitsteilung) lange Zeit gehabt, sich über die Durchführbarkeit ihrer Planung  Gedanken zu machen und haben hier schlicht versagt: Sie haben eine Veranstaltung geplant und genehmigt/genehmigen lassen, bei der das normale Eingangsmanagement (ohne dass Unwetter, Feuer oder Terroranschlag o.ä. vorlag) dazu führte, dass  21 Menschen in einer Massenturbulenz zerquetscht wurden.

Und deshalb halte ich es für eine große Niederlage der NRW-Justiz, dieses Versagen nicht innerhalb von zehn Jahren zur Urteilsreife gebracht zu haben. Ich erkenne allerdings an, dass das sehr lange Verfahren auch eine ziemlich große Belastung für die Angeklagten mit sich brachte, was m.E. auch zutreffend bei der Strafzumessung zu berücksichtigen gewesen wäre.

Aber bei diesen für die Planung und Durchführung verantwortlichen Personen des mittleren Managements zu behaupten, man habe hier nur kleinere Angestellte angeklagt, weil man sich an die Chefs nicht herantraute o.ä., ist m.E. verfehlt. Da stimme ich im Übrigen auch nicht mit einigen der Nebenkläger und deren Vertreter überein, die gern Herrn Sauerland und Herrn Schaller auf der Anklagebank gesehen hätten. Zudem: Natürlich sind im Veranstaltungsmanagement Sorgfaltspflichten (geschriebene und ungeschriebene Regeln der beruflichen "Kunst") einzuhalten, die die "im Verkehr erforderliche Sorgfalt" definieren. Wer eine entsprechende Ausbildung genossen hat, der wird damit vertraut gemacht. Dass solche Sorgfaltspflichten  in gesetzlichen Vorschriften niedergelegt sind, ist bei Fahrlässigkeitsstraftaten außerhalb des Straßenverkehrs der Ausnahmefall. Welche Regeln "gelten", müssen Staatsanwaltschaft und Gericht ebenfalls feststellen und dann evtl. Verstöße klären. Das ist aber keine Situation, die in der juristischen Aufarbeitung ungewöhnlich wäre oder generell zur Schuldminderung führt.

Ich habe mich über die WDR-Doku "Loveparade vor Gericht", die am  Abend des letzten Verhandlungstages sogleich ausgestrahlt wurde, ziemlich geärgert, nicht weil die Dokumentaristen eine andere Meinung vertreten hätten als ich, sondern, weil sie über die wesentlichen Konflikte im Prozess Zuckerguß gegossen haben, statt diese herauszustellen. Aber ich würde natürlich gern auch Ihre Meinung dazu lesen - der Film ist in der ARD-Mediathek präsent.

 

 

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Links zu früheren Beiträgen und Diskussionen hier im Beck-Blog und weiteren wichtigen Informationen, die im Netz verfügbar sind:

April 2020: Loveparade 2010 - Einstellung nach neuneinhalb Jahren steht offenbar bevor (ca. 6600 Aufrufe)

November 2019: Loveparade 2010 - doch keine Verjährung im Juli 2020 (ca. 3000 Abrufe)

Februar 2019: Loveparade 2010 - das letzte Kapitel des Verfahrens hat begonnen (ca. 8000 Abrufe)

Januar 2019: Loveparade 2010 - "The Art of the Deal" in der Hauptverhandlung? (ca. 10500 Abrufe)

November 2018: Loveparade Duisburg 2010 – die Mühen der Ebene in der Hauptverhandlung (ca. 13500 Abrufe)

September 2018: Loveparade Duisburg 2010 - nach mehr als acht Jahren: Gerlach-Gutachten belegt Ursachenkomplex mit Polizeibeteiligung (ca. 3000 Aufrufe)

Juli 2018: Loveparade 2010 in Duisburg - acht Jahre später (11 Kommentare, ca. 5100 Aufrufe)

März 2018: Loveparade 2010 - Der Gullydeckel/Bauzaun-Komplex in der Hauptverhandlung (11 Kommentare, ca. 5200 Aufrufe)

Dezember 2017: Loveparade 2010 - die Hauptverhandlung beginnt (69 Kommentare, ca. 12800 Aufrufe)

Juli 2017: Loveparade 2010 - sieben Jahre später: Hauptverhandlung in Sichtweite (61 Kommentare, ca. 8300 Aufrufe)

April 2017: Loveparade 2010 – OLG Düsseldorf lässt Anklage zu. Hauptverhandlung nach sieben Jahren (105 Kommentare, ca. 13500 Aufrufe)

Juli 2016: Loveparade 2010 - nach sechs Jahren noch kein Hauptverfahren (76 Kommentare, ca. 13300 Abrufe)

April 2016: Loveparade Duisburg 2010 - Fahrlässigkeiten, 21 Tote, keine Hauptverhandlung? (252 Kommentare, ca. 460000 Abrufe (mglw. Zählfehler)

Juli 2015: Fünf Jahre und kein Ende – die Strafverfolgung im Fall Loveparade 2010 (98 Kommentare, ca. 13500 Abrufe)

Februar 2015: Was wird aus dem Prozess? (72 Kommentare, ca. 10600 Aufrufe)

August 2014: Zweifel am Gutachten (50 Kommentare, ca. 12000 Abrufe)

Februar 2014: Anklageerhebung (50 Kommentare, ca. 18300 Abrufe)

Mai 2013: Gutachten aus England (130 Kommentare, ca. 19100 Abrufe)

Juli 2012: Ermittlungen dauern an (68 Kommentare, ca. 16500 Abrufe)

Dezember 2011: Kommt es 2012 zur Anklage? (169 Kommentare, ca. 34000 Abrufe)

Juli 2011: Ein Jahr danach, staatsanwaltliche Bewertung sickert durch (249 Kommentare, ca. 41600 Abrufe)

Mai 2011: Neue Erkenntnisse? (1100 Kommentare, ca. 45000 Abrufe)

Dezember 2010: Fünf Monate danach (537 Kommentare, ca. 31900 Abrufe)

September 2010: Im Internet weitgehend aufgeklärt (788 Kommentare, ca. 51200 Abrufe)

Juli 2010: Wie wurde die Katastrophe verursacht - ein Zwischenfazit (465 Kommentare, ca. 61100 Abrufe)

Ergänzend:

Link zur großen Dokumentationsseite im Netz:

Loveparade2010Doku

speziell: Illustrierter Zeitstrahl

Link zur Seite von Lothar Evers: DocuNews Loveparade Duisburg 2010

Link zur Prezi-Präsentation von Jolie van der Klis (engl.)

Weitere Links:

Artikelsammlung zur Loveparade auf LTO

Große Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag NRW

Kurzgutachten von Keith Still (engl. Original)

Kurzgutachten von Keith Still (deutsch übersetzt)

Analyse von Dirk Helbing und Pratik Mukerji (engl. Original)

Multiperspektiven-Video von Jolie / September 2014 (youtube)

Interview (Januar 2013) mit Julius Reiter, dem Rechtsanwalt, der eine ganze Reihe von Opfern vertritt.

Rechtswissenschaftlicher Aufsatz von Thomas Grosse-Wilde: Verloren im Dickicht von Kausalität und Erfolgszurechnung. Über "Alleinursachen", "Mitursachen", "Hinwegdenken", "Hinzudenken", "Risikorealisierungen" und "Unumkehrbarkeitszeitpunkte" im Love Parade-Verfahren, in: ZIS 2017, 638 - 661.

Der Anklagesatz

Blog des WDR zur Hauptverhandlung (Berichte über jeden Prozesstag)

Der Beschluss, mit dem das Verfahren gem. § 153 Abs.2 StPO eingestellt wurde (mit ausführlicher Begründung).

 

 

 

 

 

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18 Kommentare

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Ich versuche mich an einer kurzen Zusammenfassung, was in der Causa "Das Unglück bei der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010" bisher geschah: 

1) Die Hauptverantwortlichen, den wendigen, geschäftstüchtigen Herrn Schaller und den intellektuell überforderten Herrn Sauerland ließ man von Anfang an in Ruhe.

2) Die Nebenklage brillierte zuletzt mit dem Vorschlag, irgendwelche Ansprüche bei irgendwelchen Versicherungen in irgendeiner Weise geltend zu machen. Im übrigen gab die Nebenklage viele schöne Fernsehinterviews und nahm ihr Menschenrecht auf einen erquickenden Tiefschlaf ausgiebig in Anspruch.

3) Die Verfahren gegen die Angeklagten aus der zweiten Reihe wurden eingestellt nach dem Motto: "Es zahlt jetzt jeder einen Hunni an das Rote Kreuz und gut ist". Die Verfahren gegen die Angeklagten aus der dritten Reihe wurden fortgeführt.   

4) Die neueste Errungenschaft: In der großen weiten Welt der Juristerei gibt es vieles, was so gerade noch, mit sehr viel gutem Willen, vertretbar ist. So mag das auch mit der neuesten Idee sein, das Verfahren noch eine Zeitlang fortzusetzen. Aber was ändert das?  

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Gerhart Baum, dessen Kanzlei Opfer und Hinterbliebene des Unglück vertritt, stellt in Richtung auf die Annahme des Vorschlags des Gerichts die Überlegung „Was bleibt uns anderes übrig?“ an und sieht die Zukunft darin, „sich an die Versicherungen zu wenden“.[80] 

  1. Interview mit Gerhart Baum
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Und hier ist das Interview mit Gerhart Baum in seiner ganzen Pracht nachzulesen:

https://www.deutschlandfunk.de/loveparade-prozess-es-sitzen-die-falschen...

Wie sagte Herr Prof. Müller kürzlich am 27.4.2020 so richtig?

Sehr geehrter Herr Würdinger,

schon bei früheren Beiträgen zur Loveparade (teilweise vor Jahren!) haben wir über Ihren Ansatz breit diskutiert, ich glaube es ist in diesem Rahmen ausdiskutiert. Ihr Vorwurf an die Nebenklägervertreter im Loveparade-Verfahren ist nun nicht mehr nur rechtlich inhaltlich fragwürdig (was ich schon mehrfach ausgeführt habe), sondern auch zeitlich völlig überholt. Ein "Ermittlungserzwingungsverfahren" in einer Hauptverhandlung, die kurz vor dem Abschluss (durch Einstellung) steht, das ist juristisch unvertretbar. Ihre ständigen Versuche, die Diskussion auf dieses Thema (ob gerade passend oder völlig unpassend) zu bringen, um dann jeweils ganze Kataloge zum konkreten Thema nicht passender Belege anzubringen, sind für die Sachdiskussion schädlich. Daher werde ich Ihre Kommentare mit diesem Thema auf unveröffentlicht stellen, soweit dies nicht ohnehin schon durch die Moderatoren des Verlags geschieht.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

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Was wollen Sie? Das ist doch ein genialer Vorschlag von Gerhart Baum, irgendwelche Ansprüche bei irgendwelchen Versicherungen in irgendeiner Weise geltend zu machen!

 

Sehr geehrter Herr Würdinger,

 Ihr Statement zu Nr. 3) ist zwar launig formuliert, aber sachlich falsch.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Ich schrieb (Hervorhebung von mir): "Die Verfahren gegen die Angeklagten aus der zweiten Reihe wurden eingestellt nach dem Motto: "Es zahlt jetzt jeder einen Hunni an das Rote Kreuz und gut ist". Es stellt sich also, wenn man einmal mehr den verzweifelten Versuch unternimmt, mich irgendwie in ein schlechtes Licht zu rücken, die Frage, was man unter einem Motto“ versteht. Und siehe da, wenn man sich den Inhalt von Mottovor Augen führt, scheitert auch dieser Versuch. Aber, Herr Professor, nice try! 

Bitte schauen Sie sich einfach noch einmal an, gegen wen unter welchen Bedingungen und Normen das Verfahren nun insgesamt eingestellt wurde. Niemand hat "einen Hunni" an irgendeine Organsiation gezahlt (§ 153 a StPO), egal in welche Reihe Sie die Angeklagten einordnen und egal, was Sie für ein "Motto" halten. Das Verfahren gegen sämtliche Angeklagte wurde gemäß § 153 StPO eingestellt. Möglicherweise haben Sie da einfach nicht so genau hingeschaut. Ich bitte Sie um Richtigstellung.

Anmerkung: Nach diesem Kommentar kamen vom Angesprochenen weitere, teilweise nicht mehr akzeptable Kommentare, die deutlich machten, dass er an einer Diskussion nicht interessiert ist, sondern nur an persönlichen Angriffen auf mich. Ich habe deshalb kurzfristig die Kommentarspalte geschlossen. Zu diesem Schritt greife ich höchst ungern, da es meist nur zwei der hier im Beck-Blog regelmäßig Kommentierenden sind, die fast jede Diskussion mit unsachlichen oder unpassenden, nur ihrer eigenen Agenda folgenden Kommentaren okkupieren, und die Schließung der Kommentarspalte leider alle Leser betrifft, die an einer fachlichen und sachlichen Diskussion interessiert wären.

Selbst wenn ich, nicht deren Adressat , der zuletzt geäußerten Bitte  nicht nachkommen kann, so erfreut doch, dass evetnuell durch Engagement die Debatte wieder eröffnet ist. Denn mir, der ich weder genuin Strafrechtler bin noch gerade diesen Vorgang hier im RUhrgebiet so konzentriert und permanent verfolgt habe, eher also: einem schlichten,wenn auch juristisch ausgebildeten Staats- und "Mündigen Bürger" fällt nach den jahrelangen Journailleberichten wie auch rechtsförmlicheren Vorträgen einiges auf: so etwa:

1.) Ziel und  Zweck eines rechtssstaatlichen Strafprozesses müsste bleiben oder wieder werden: konkrete Anklage wegen eines Delikts präzise bezüglich Angeklagter auf Berechtigung prüfen, mit Amtsermittlung, neutral in eigener Tendenz des Gerichts. 

Insbesondere ist der Strafprozess nicht - wie etwa anscheinend teilweise in den USA zu Verfahren auf Einleitung eines Public Prosecutors - eine Art umfassender Geschichtsdeutung von Komplexen des Bösen.

2.) Die öffentliche Verhandlung hat keine Schaubühne für Theatralik zu sein, weder von angeblichen Opfern, mehr noch deren anwaltlichen Vertretern, noch , was allerdings wohl seltener geschieht, von Angeklagten.

3.) Die gebotene Neutralität des Gerichts lässt schaudern, wenn ein Vorsitzender öffentlich als Ziel und Zweck des Verfahrens die Verurteilung bezeichnet. Andererseits habe ich in aktiver Zeit stets das offene Rechts- und damit auch Tatschenauswertende Gespräch mit Gerichten geschätzt. Dass Antragsteller ( hier StA) und "Gegner" ( Beklagter, Angeklagter) einseitige Ziele haben, ist deren gutes Recht. Beurteilen und Denken vollzieht sich vor allem bei komplexen Sachen in Schritten. Nur wenn ein Gericht offen seine bisherge Tendenz und Einschätzung, gestützt auf genannte Gründe, nennt und sagt, kann jede der Streitparteien konkret dies bedenken, überlegen und gezielt weitere eigene Argumentation prüfen und entwickeln. Wenn Vertrauen zum Gericht herrscht, wie normal, und nicht ein unsachlicher Eindruck unkorrigierbarer Vorfestlegung entfaltet wird, so ist das auch niemals ein Grund zu einer Ablehnung, selbst wenn einem im ersten Schritt und Anhören die momentane Denk- und geäußerte Position des Gerichts nicht gefällt. Inwieweit das landsmannschaftlich verschieden ist, dafür fehlt mir deutschlandweite breitere faktische Erfahrung. In Westfalen wird das klare Wort gepflegt. So "begrüßte" ein Zivilkammervorsitzender eingangs meine Beklagtenpartei mit brausendem Ton, sie habe doch in verbrecherischer Weise, Betrug und Veruntreuung, das arme klagende Bäuerlein geschädigt. So sehe man das nach der Klageschrift - in der Sommerzeit nach Fristverlängerung am Vortage erst eingegangene Klageerwiderung habe das Gericht allerdings noch nicht gelesen. Dieser  westfälisch drastische Kammervorsitzende war mir aus langer Erfahrung gut bekannt. Das Schwierigste in diesem Prozess war, nach dem Termin im Büro in der Nachbesprechung dem allerdringendsten Begehren des Mandanten zu widerstehen, diesen Richter müsse man doch wegen Befangenheit ablehnen, so etwas habe man ja noch nie erlebt. Rechtlich habe ich darauf verwiesen, dass er ja ausdrücklich noch Berücksichtigung meines Erwiderungsschriftsatzes vorbehalten hatte, aber auch einschätzungsmäßig, dass ich ihm seriöse Prüfung meines Vorbringens zutraue. Klar, etwas mulmig wegen weiterer Entwickung konnte da einem als Parteivertreter schon sein.  Ich hatte u.a. zur Sache eine in einer klägerischen Urkundskette ausgelassene Urkunde vorgelegt, die dann von Klägerseite  nicht bestritten wurde, was bei Notarurkunden auch kaum geschehen kann. Ohne weitere mündliche Verhandlung Klageabweisung. Nunmehr standen in der Urteilsbegründung westfälisch-herbe Ausdrücke zum prozessualen Vorgehen der Klägerseite.

Zimperln sollten auch nicht allzusehr allzuschnell betrübt einknicken, zu Verhandlungsbeginn mit dem Gruß "Was die  XY-Seite macht, ist ja wohl Prozessbetrug." empfangen zu werden. Das mus nicht hindern, hier allerdings erst in dritter Instanz voll zu obsiegen.

4.) Noch mehr, durch moderne und weltweit greifende und wirkende auch dauerhaft greifbare, Veröffentlichungen als vormals wird die Ehre von Menschen  berührt. Natürlich kannten wir schon als Referendare den Begriff "Freispruch zweiter Klasse" - mangels Beweisen, also ggf. mangels Vollbeweis. Exzellente Möglichkeit, für ein Gericht, den Schmutzkübel über den Freigesprochenen (!!) jauchesuhlend auszukippen. So lässt sich auch eine mündliche Urteilsbegründung scharf würzen. Ähnlich bei Begründungen - schriftlich oder erst recht in Pressemitteilungen - zu Einstellungen. Dem von Thomas Fischer trefflich bezeichneten Niveau gewisser Journaillekreise gemäß finden sich denn  ja auch in Jorurnaille gern und häufig zu § 153 a StPO "Geldbußen" als angeblich auferlegt. 

5.) Im konkreten Fall gehört meine volle Bewunderung den schlussverbliebenen Angeklagten und deren Verteidigern. Rückgrat, nicht biegen lassen, und jaule die Pressemeute noch so sehr. 

6.) Wer vom Rathaus kommt ist klüger. Allerdings ist es fast stets so, dass Anklagen auf bereits  vollzogenen Rechtsgutsverletzungen beruhen. Da ist es eigentlich die Regel, ex post zu schauen und zu bewerten, was wer in momento concreto hätte bedenken und tun  oder lassen sollen. Mchn beeindruckt, dass der damalige Bochumer Polizeipräsident wohl öffentlich, bereits 2009, vor den fürchterlichen  Gefahren solcher Massenveranstaltungen gewarnt hat. Es mag manches Zimplerlein ja schrecken, dass manche auch von plebs und Pöbel sprechen. Die Zahl allein muss nicht das Problem sein , wie noch heute sichtbare Filme zum Bochumer Katholikentag 1949 zeigen, ca 500.00 Menschen - https://www.filmothek.bundesarchiv.de/video/583656?set_lang=de

Weitgehend weggeschwiegen wird etwa der Durchbruch am Westzugang durch Polizeisperren, die von gewalttätigen Besoffenen durchbrochen wurden. Und für Riesenmengen einen, einen einzigen "Zu- UND (!!) Abgang" herzurichten - ich hätte da keinen "wissenschaftlichen Gutachter" gebraucht, um das für lebensgefährlich zu halten.

7.) Seltsam unerörtert bleibt  das hochrangige Versagen der ministeriellen "Schreibtischtäter". Wenn in solcher Ansammlung besoffene Gewalttäter eine Polieisperre durchbrechen,   warum kommt dann gemäß anscheinender Erlasslage kein scharfer Schuss? Insoweit ist mir europäischer Gedanke nicht fern: Wenn ein französischer Polizist einen Verbrecher erschießt, bekommt er einen Orden an den Hals , ein deutscher ein Strafverfahren.

 

 

Nun, um zu zitieren: "Schließung der Kommentarspalte leider alle Leser betrifft, die an einer fachlichen und sachlichen Diskussion interessiert wären"

Die alle für so dumm und inhabil zu halten, dass sie nicht das schleunige scrollen beherrschen, wenn gewisse Namen auftauchen oder der Beginn einer erkennbar längeren "Ausarbeitung" / meist Einkopierung , ist nicht schön. 

Soweit ich selbst attackiert werde, was angesichts meiner Namensnennung nicht selten geschieht, scheinen manche zu meinen , durch Löschen helfen zu müssen. Normalerweise weiß ein Anwalt aber auch, auf Polemiken zu reagieren - es macht eher kampflustig. Und de gustibus non est disputandum. Da hat mich aus der corona-Debatte doch jener Schweizer Professor Vogt sehr überzeugend beeindruckt: Was die Polemik betrifft: "Mit einem weichgespülten Artikel, welcher nur von «political correctness trieft» und die Fakten verschleiert, erreicht man heutzutage gar nichts. Entweder will ich etwas erreichen und wenn nicht, brauch’ ich auch nichts zu schreiben." (Mittelländische Zeitung ).

 

Was die Divergenz zwischen zwei Herren hier angeht, so liegen ggf. Missverständnisse vor.

1.) Bezüglich der JETZT noch verbliebenenen Angeklagten wurde nach § 153 StPO eingestellt.

2.) Gegen die vormals weiteren wurde am 6.Febr. 2019 ebenfalls nach § 153 StPO eingestelt, also ohne Geldzahlungsauflage.

3.) Die zuletzt noch verbliebenen haben wohl, das kann ich nicht genau sehen, im  Februar 2019 eine Einstellung gegen Geldzahlungsauflage abgelehnt. 

4.) Jedenfalls bewundere ich ihre Rückgratstärke und Klarheit. Ihnen ist zwar kein förmlicher Freispruch zuteil geworden, aber endgültig wird es nicht zu einer Verurteilung kommen. Durchhaltevermögen. 

5.) Welche "Ränge" / Reihe wer so im Laufe der Zeit hatte, überblicke ich nicht prüzise.

6.) Mein Hinweis auf die Ministerialinstanz steht im Raum. 

Es geht im Strafrecht nicht darum, politische oder moralische Verantwortung zu klären. Dass diese bei Herrn Sauerland und Herrn Schaller lag, mögen die beiden (reichlich spät, aber immerhin) irgendwann eingesehen haben. Aber dass ein Firmenchef nicht selbst (in eigener Person) eine Veranstaltung seiner Firma plant, und ein Oberbürgermeister nicht selbst Pläne einer von ihm gewünschten Veranstaltung technisch prüft, das sollte doch jedem klar sein.

Ein Speditionschef ist ja auch nur sehr begrenzt verantwortlich zu machen für die Tötung eines Radfahrers, der von einem LKW beim Abbiegen erfasst wird, weil der Fahrer nicht in den Spiegel geschaut hat, sondern auf sein Handy.  Bei den Chefs hätte möglicherweise eine Fahrlässigkeit in der Auswahl ungeeigneter Personen gelegen oder, wenn sie selbst bestimmte todesursächliche Vorgehensweisen selbstherrlich durchgedrückt hätten. Aber für letzteres fehlten tats. Anhaltspunkte und offensichtlich waren weder die städtisch zuständigen noch die firmenintern beauftragten (und bezahlten) Kräfte, die diese wichtigen Aufgaben erledigen sollten, ungeeignet, im Gegenteil: Teilweise lag große Erfahrung vor in der Veranstaltungsplanung und -durchführung vor sowie Entscheidungsgewalt über viele heikle Punkte, die jetzt (und auch schon seit September 2010!) als Ursachen in Betracht zu ziehen sind. Ebenso wie Autofahrer für kleinste Fahrfehler auch strafrechtlich haften, wenn diese unfallbedingt (meist mit hohem Zufallsanteil) zu Toten oder Verletzten führen, lag hier m.E. keine durchgreifende Schuldminderung wegen "Multikausalität" vor. Im Gegenteil: Diese Angeklagten haben (in Arbeitsteilung) lange Zeit gehabt, sich über die Durchführbarkeit ihrer Planung  Gedanken zu machen und haben hier schlicht versagt: Eine Veranstaltung geplant und genehmigt zu haben, bei der das normale Eingangsmanagement (ohne dass Unwetter, Feuer oder Terroranschlag o.ä. vorlag) dazu führt, dass  21 Menschen in einer Massenturbulenz zerquetscht werden. Und deshalb halte ich es für eine große Niederlage der NRW-Justiz, dieses Versagen nicht innerhalb von zehn Jahren zur Urteilsreife gebracht zu haben. Ich erkenne allerdings an, dass das sehr lange Verfahren auch eine ziemlich große Belastung für die Angeklagten mit sich brachte, was m.E. auch zutreffend bei der Strafzumessung zu berücksichtigen gewesen wäre.

Aber bei diesen für die Planung und Durchführung verantwortlichen Personen des mittleren Managements zu behaupten, man habe hier die zweite oder dritte Reihe angeklagt, weil man sich an die erste nicht herantraute o.ä., ist m.E. verfehlt. Da stimme ich im Übrigen auch nicht mit einigen der Nebenkläger und deren Vertretern überein, die gern Herrn Sauerland und Herrn Schaller auf der Anklagebank gesehen hätten. Zudem: Natürlich sind im Veranstaltungsmanagement Sorgfaltspflichten (geschriebene und ungeschriebene Regeln der beruflichen "Kunst") einzuhalten, nämlich als "im Verkehr erforderliche Sorgfalt". Wer eine solche Ausbildung genossen hat, der wird damit vertraut gemacht. Dass solche Sorgfaltspflichten  in gesetzlichen Vorschriften niedergelegt sind, ist der Ausnahmefall. Welche Regeln "gelten", müssen Staatsanwaltschaft und Gericht ebenfalls feststellen und dann evtl. Verstöße klären. Das ist aber keine Situation, die ungewöhnlich wäre.

Die LTO-Presseschau:

Fischer zu NSU- und Loveparadeverfahren: Über die Grenzen des Strafprozesses bei der gesellschaftlichen "Aufarbeitung", schreibt Ex-Bundesrichter Thomas Fischer in seiner Spiegel-Kolumne anlässlich der Einstellung des Loveparadeverfahrens und der Absetzung der umfangreichen Urteilsbegründung des NSU-Verfahrens.

Die NJW-Vorschau:

Als Anfang Mai das Loveparade-Verfahren eingestellt wurde, sprachen viele von einem Skandal. Wie kann es sein, dass ein Prozess über ein Unglück mit 21 Toten ohne Urteil zu Ende geht? Wir haben dazu den Dortmunder Strafverteidiger Prof. Dr. Ralf Neuhaus befragt.

W+rdinge   05-27    10:04: "Wie kann es gehen?" Durch Einstellungsbeschluss. 

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

oben haben Sie ja gefragt, was wir, Ihre Leser und Mitdiskutanten, von der WDR Sendung "Loveparade vor Gericht" halten. Nun, ich habe mir die Sendung angeschaut und komme wie Sie zum Schluss, dass man sich als jemand, der sich seit dem 24. Juli 2010 mit diesem Thema beschäftigt, nur verärgert sein kann - für mich ist diese Sendung eine Gefälligkeitssendung, durchaus einseitig, dass man von Lückenpresse sprechen muss. Ja, dass das Gutachten resp. der Gutachter nicht mehr im Prozess eingeführt wurde, wo ja nach Angaben einer Quelle acht Verhandlungstage notwendig gewesen wären, wurde ebenso ausgelassen wie andere kritische Dinge, die man sonst anführen konnte.  Insbesondere auch die Personenauswahl der Votanten in der Sendung gefiel mir nicht, dieser Pfarrer, der von Vorverurteilungen sprach... nein, die Verantwortlichen waren bekannt und auch transparent, traten oft genug vor dem Unglück öffentlich als Protagonisten dieser "Parade der Verantwortungslosigkeit" auf, um eben dann zu Recht als Verantwortungsträger verurteilt zu werden, zumindest moralisch. Dass eigentlich zumindest nach gesundem Menschenverstand auch eine juristische Verurteilung erwartet hätte, darf eigentlich nicht verwundern. Ich kann in diesem Zusammenhang das Buch "Verwaltungsdesaster" von Wolfgang Seibel u.a., erschienen 2017, empfehlen. Auf 90 Seiten beschreiben die Autoren recht gut, wie sich das Unheil von 2007 an anbahnte. Ich werde dann hier, falls erwünscht, eine Rezension veröffentlichen. Weitere Beispiele von Verwaltungsdesastern sind die NSU Morde, einen Pflegefall und den Einsturz des Hallendachs von Reichenhall. Der Fall Loveparade wird überwiegend aus Sicht der versagenden Verwaltung der Stadt Duisburg beleuchtet, nur punktuell aus Sicht des genauso oder noch schlimmer versagenden Unternehmens Lopavent. Thema sind eben Verwaltungsdesaster und nicht Unternehmensversagen. Das Fazit von Seibel und Kollegen: Es war vor allem der Durchsetzungswille eines Wolfgang Rabe, seines Zeichens Dezernent für Recht, Ordnung und Sicherheit, der vorbehaltlos allen Forderungen des Veranstalters stattgab, auch wenn sie offen Vorschriften missachten wollten. Sein Durchsetzungsvermögen bei gleichzeitiger Nachgiebigkeit seines Kollegen Baudezernenten (auch Stadtentwicklungsdezernent genannt) und dem Nichteingreifen vom OB Sauerland waren letztlich entscheidend für das Desaster, das im Grunde zuvor viele Kritiker kannte.  Mein Interesse  hat diese ganze Angelegenheit als Betriebswirt und Personalberater deshalb erweckt, wie es kommen konnte, dass im Vorfeld Laien wie der Journalist Ingmar Kreienbrink aber auch zahlreiche Leserkommentatoren unter jenen beiden Artikeln in der WAZ das Unglück schon einen Monat vor dem Ereignis, einfach nur sich den Lageplan anschauend, vorausgesehen haben.  So ist nicht nachzuvollziehen, wieso Führungskräfte, egal ob Spitzenbeamte oder Unternehmer, die Gefährlichkeit nicht erkannt haben, zumal sie von Problemen mehr als nur einmal gehört haben. Im Grunde genommen gehört dies in jeder Sendung über die LoPa erwähnt, mindestens mit einem Satz. Auch von einer Rechtslücke, die gemäss der Sendung angeblich bestand, habe ich noch nichts gehört, in diesem Blog kann ich mich nicht erinnern, auf sowas gestossen zu sein und konkreter wurde die Sendung nicht. Im Buch von Seibel u.a. ist nichts davon erwähnt, vielmehr wird, wie auch in Ihrer und Fam. Mogendorfs Erklärung, klar auf die Sonderbauverordnung NRW hingewiesen. Am meisten brachte mich, der ich auch einige Vorlesungen und Literatur zu Organisationspsychologie studiert habe, auf die Palme, es hätte sich hier eine Verantwortungsdiffusion ergeben. Ja Herrgott, genau dafür, dass das nicht passiert, gibt es Chefs, und genau dafür gab es doch einen Leiter Krisenstab, einen in der städtischen Hierarchie sehr weit oben angesiedelten Dezernenten Rabe, der ja auch Projektleiter war, um das zu vermeiden. Und dafür gibt es auf der Seite des Veranstalters einen Geschäftsführer, egal wer das jetzt war, ob Schaller, Sattler oder sonst jemand, und dann einen technischen Verantwortlichen. Aber bei so vielen Fehlern, die da aufs mal passieren, kann doch keiner der Top Manager und Dezernenten sagen, er hätte da keinen Einblick gehabt. Hier sind die Führungsmängel eklatant. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die Schlamperei System hatte, weil es darum ging, die Veranstaltung durchzuboxen, und man dachte, wird schon nichts passieren und Vorschriften sind zum Umgehen da. Das Buch von Seibel beleuchtet das aus Sicht der Verwaltung sehr gut. Aus meiner Sich gebe es dazu hinzuzufügen, dass sich in einer Organisation, wenn erst Mal der Geist aus der Flasche ist, dass man es mit Gesetzen nicht nur nicht so genau nehmen muss, sondern komplett ignorieren kann und dann also auch lieber selbst erlassene Auflagen nicht kontrolliert, eben alles komplett aus dem Ruder läuft. Das ist aber m.E. nicht geringen oder mittlere Schuld, vor allem nicht der beiden Dezernenten und ich würde auch sagen der Amtsleiterinnen. Dass Dzernent Rabe nicht unter den Angeklagten war, verstehe ich bis heute nicht. Aber ungeachtet dessen waren natürlich der Dezernent und die Amtsleiterinnen des Bauamts verantwortlich, und dass als Hoheitsträger eben nicht in einem kleinen Masse, und dass sie gewarnt haben, aber dann doch die Genehmigungen durch Untergebenen ausstellen liessen, ist nicht einfach als geringe oder mittlere Schuld zu sehen, so finde ich, und bin damit sicher nicht allein. Auch dass man in der Sendung nicht Sie, oder vielleicht Dr. Grosse-Wilde zu Wort kommen liess, als Vertreter der Lehre, die sich eingehend mit der Sache befasst hatten, und einen Vertreter der Nebenkläger wie Prof. Reiter, werte ich so, dass man halt allzu kritische Stimmen nicht zu Wort kommen lassen wollte. Prof. Jahn fand ich auch nicht so hilfreich. Jedenfalls dürfte er sich mit dem Thema bei weitem nicht so beschäftigt haben wie Sie. Dass müsste die WDR Redaktion wissen, wobei sie es sicher weiss.... Auch dass der Prozess vor allem aufgeklärt hätte - also, mir fällt da nicht soviel ein, und wenn Aufklärung so wichtig gewesen wäre, dann hätte man doch eben den Gutachter zu Wort kommen lassen... Der WDR hat auch schon vor vier Jahren eine unsägliche Sauerland PR gesendet, die jegliche kritischen Statements des ehemaligen OB, die sich auch in WDR Archiven finden lassen, und diese jetzt nocheinmal auf youtube hochgeladen. Dabei ist erschütternd, wie viele Sauerland Apologeten sich da gemeldet haben - eine offensichtlich konzertierte Aktion, denn die positiven Statements erfreuen sich ungewöhnlich vieler Daumen hoch, sodass sie alle auch oben erscheinen. Peinlich. Abschliessend möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen meine Anerkennung aussprechen, dass Sie diese Angelegenheit mit Ihrem Blog während den nun also bald 10 Jahren minutiös und mit akademischer Seriosität aufgearbeitet haben. Ja, immer wieder fiel auch mir Ihr Titel "Loveparade Unglück - nach zwei Monaten im Internet weitgehend aufgeklärt" ein, wie recht Sie hatten, aber es ist leider umso betrüblicher, dass nach einem Jahrzehnt die Sache so ruhmlos zu Ende geht.

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Heute abend läuft auf ARTE, 22:00 Uhr, die Dokumentation Loveparade.Die Verhandlung, lt. heutiger FAZ "eine herausragende Dokumentation über den Mammutprozess zur Loveparade". Nur den Aspekt des krassen Behördenversagens hätte man "ein wenig deutlicher herausarbeiten können. Die unbedingte Sehempfehlung schmälert das nicht".

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